Gerhard Hess

 

eihwaz/iwaz: Eibe
Phonetischer Wert : 
zwischen e und i
Tierkreis: Zwillinge
Mai Ende

Sakralfest: Maibaumfestgipfel

Jahresbaumerrichtung. Zwischen dem 1. Wonnemond und der Sommersonnenwende werden in allen germanischen Ländern die Maibäume als Sinnbilder des mythischen Weltenbaumes errichtet. Genau in der Mitte dieser Maibaum-Brauchtumszeit liegt das Runenfest des Eiben- bzw. Lebens- und Todesbaumes. Der heutige Brauch­­tums-Kultbaum ist geschmückt mit Symbolen für die verschiedenen Berufe, Zünfte und Stände. Im spielerischen Wettbewerb versuchen die Burschen, den glattgeschälten Baum zu erklimmen. In die Höhe weist alles Leben, Paare umtanzen ihn im tiefsinnigen Gleichnis, denn alles menschliche Tun gleicht einem Reigen um den „Baum des Lebens“.

Mit dieser Rune, deren Lautwert zwischen E und I liegt, rückt die Idee des germanischen Weltenbaumes in unser Blickfeld. Zwölf galt als Kosmoszahl, zwölf Götter glaubte man, in ebenso viele Sternbilder ist die Ekliptik geteilt, im Dodekaeder, einer Kugel aus zwölf Fünfecken, sahen die alten Weisen die Form des Kosmos.

Ist die Drei die männlich-feurige Geistzahl und die Vier die weiblich-wässrige Materiezahl, dann ist die Zwölf das Ergebnis aus Feuer mal Wasser, aus Geist mal Stoff.

Beim heiligen heidnischen Hof zu Uppsala, so berichtete Adam von Bremen, „steht ein sehr großer Baum, der seine Zweige weithin ausbreitet, sommers und winters immer grün; welcher Art er ist, weiß niemand. Dort ist auch ein Quell…“ Eine Eibe war es, in dieser Baumart verkörperte sich, nach nordischer Tradition, das unbegreiflich Heilige schlechthin.

Eibe

Die Eibe ist neben dem anderen Runenbaum, der Birke, die älteste Baumart unserer Nordheimat. In altnordischen Texten wird der Weltbaum Yggdrasil geheißen. Da der germanische Eibenbegriff in manchen Formen einen Guttural aufweist (ahd. ?go, schweiz. ?ge), konnte aus urgermanisch igwa, igwja ein altnordisch yggwa, yggia werden. Das zweite Wortglied altnordisch drasill aus urgermanisch drasilaz hat die Grundbedeutung „Träger“ und weiterhin „Säule“.

In urgermanischer Ära galt die Eibe Yggdrasil als Weltenbaum, während im isländischen Spätheiden­tum zuweilen eine Vertauschung von Eibe und Esche stattfand. Doch auch im eddischen Fjölsvinnsmál wird nach dem Namen des Baumes gefragt, „der mit breiten Ästen die weite Welt überwölbt“, im Original: „hvat dat barr heitir“, d.h. „wie heißt der Nadel[baum]?“

Im WaldmärchenDas Wunder im Spessart“ verrät die Elster jenes Mit­tel, um die verzauberte Prinzessin zu befreien: „Wenn ihr vom Eiben­baum einen Zweig bekommt und mit demselben die Stirn der Schö­nen dreimal berührt, so weichen alle Fesslungen von ihr – denn vor Eiben die Zauber nicht bleiben!“

Dieser zauberische Weltenbaum birgt Tod und Leben, Aufstieg und Abstieg, wie es das Runenbild so sinnfällig demonstriert. Sein Gift, das Toxin, ist so wirkungsvoll wie sein Lebenselixier, welches die moderne Pharmazie gegen Krebs­er­kran­kungen herstellt.

 

ZEITRAUM DER RUNE 

Jetzt hat sich das linde Leben gestreckt,
da der MAIBAUM die mächtige Krone reckt,
um durch seinen hehren, heilkräftigen Segen
die Fruchtbarkeit flimmernder Fluren zu regen.

Welch barliches Gleichnis das Brauchtum trägt,
wenn es das Spiel um den Maibaum pflegt,
es ist ja der Tanz um den „Baum des Lebens“,
trefflichstes Sinnbild tagtäglichen Strebens.

Jener Baum ist gemeint, welcher niemals vergeht,
der als Urbild des Lebens im Kosmos steht,
der die Wurzeln ins wärmende Erdreich gräbt –
und den Wipfel empfangend ins Weltall hebt.
Dies geistige Bild, so behaglich vertraut,
ist in kultische Bäume hineingeschaut.

So ungleich die Völker und ihre Spuren,
vom „Heiligen Baum“ künden viele Kulturen.
Die Legenden wirken, sie wandern und walten,
sie weben dem Mythos die vielen Gestalten:

Von der Tanne, Fichte, Pinie und Eibe,
mit gleichnishaft grünem, grüßendem Leibe,
von der Hoheit der Esche, Birke und Linde,
in denen vortreffliches Heiltum sich finde,
von der prächtigen Palme, der himmelhohen,
der flätigen, nährenden, früchtefrohen,
von der Sykomore und dem Asvattha-Baum
gemahnet der michelige Menschheitstraum.

Er raunt von der Eiche des Zeus in Dodona,
er raunt von der Donar-Eiche bei Geismar.
Er raunt von der Iburg, dem Eibenberg,
und des „Sachsenschlächters“ Zerstörungswerk.

Wer da in Verblendung dies Sinnbild zerschlug,
die Schuld an der Blendung der Wahrheit trug.
Wahrheit des Lebens, kein Wahn wird sie zwingen,
kein tumbiger Tor kann sie niederringen;
geblendet erblinden kann wohl das Wissen,
so dass wir die Währung der Wahrheit vermissen.

Das urfirne Wissen, die urfirne Wahrung,
den suchenden Seelen die tröstlichste Nahrung,
es wurde von denen blindwütig gewürgt,
die fremdartig-frevelndem Geist sich verbürgt.

Sie leisteten lästernde, lastende Lügen,
der Ahnen still tragende Treue zu trügen.
Sie schlugen ein redendes Relief hinein
in die Wand des Weihtums vom Externstein,
das sämtlichen sinnenden Zeiten zeigt,
wie der Lebensbaum sich vor der Lüge neigt;
vor dem „Kreuz des Todes“ und seiner Idee,
die auf Urweistum fiel wie ein Winterschnee.
Doch des Baumes Bild nur konnten sie biegen,
das Leben selbst wird nicht unterliegen!

 

Der Eibenbaum, das ewige Geschöpf
Wintergrün, hart und fest

In der Erde verwurzelt
Bis in die Münder der Toten wachsen die Wurzeln der Eibe
In der Erde verwurzelt
Kein böser Zauber kann vor der Eiben Macht bestehen

Dämonenverscheuchende Hüterin des Feuers
Eihwaz, Eihwaz

Ein Stück Eibenholz auf dem Körper getragen
Kein böser Zauber kann dich mehr plagen
Ein Stück Eibenholz auf dem Körper getragen
Kein böser Dämon kann dich mehr plagen

Eihwaz schütze mich
Dämonenverscheuchende Hüterin des Feuers
Schütze mich vor den Dämonen der Zeit
Hüte mich vor der Unachtsamkeit

Beitragsbild: Jan Fibinger