
Julius Evola
In seinem Meisterwerk ›Metaphysics of War‹ (›Metaphysik des Krieges‹) erklärt Julius Evola, daß Zeiten der Krise und Zerstörung Menschen aus dem bürgerlichen Leben aufrütteln können. Sie zwingen sie dazu, sich der Vergänglichkeit weltlicher Bindungen zu stellen und ein höheres, geistiges Bewußtsein wiederzuentdecken, das das individuelle Dasein übersteigt.
Es ist ein Prinzip alter Weisheit, daß nicht so sehr die äußeren Umstände entscheidend sind, sondern vielmehr die Haltung, die man in ihnen gegenüber einnimmt – und damit die Bedeutung, die man ihnen beimißt. Das Christentum hat – aus einem ähnlichen Blickwinkel verallgemeinernd – vom Leben als einer „Prüfung“ gesprochen und die Maxime vita est militia super terram („das Leben ist ein Kampf auf Erden“) übernommen.
In den ruhigen und geordneten Perioden der Geschichte ist diese Weisheit nur wenigen Auserwählten zugänglich, da es zu viele Gelegenheiten gibt, aufzugeben, zu erlahmen, das Vergängliche für das Wesentliche zu halten oder die Instabilität und Bedingtheit zu vergessen, die dem Dasein an sich eigen ist. Darauf gründet sich jene Haltung, die man im weiteren Sinne als die Mentalität des bürgerlichen Lebens bezeichnen kann: ein Leben ohne Höhen und Tiefen, das sich in Interessen, Zuneigungen, Wünschen und Leidenschaften erschöpft – Dinge, die aus rein weltlicher Sicht bedeutsam erscheinen mögen, aber aus überindividueller und geistiger Perspektive kleinlich und relativ sind. Und diese höhere Sichtweise sollte jeder menschlichen Existenz, die diesen Namen verdient, zugrunde liegen.
Die tragischen und zerrütteten Epochen der Geschichte führen – durch die Umstände gezwungen – dazu, daß mehr Menschen zu einem Erwachen und zur Befreiung gelangen. Und genau darin zeigt sich die tiefste Lebenskraft eines Volkes, seine Kraft und seine Unerschütterlichkeit – im höheren Sinne verstanden. Heute, in Italien, an einer Front, die keinen Unterschied mehr kennt zwischen Kämpfenden und Nichtkämpfenden und daher so viele tragische Folgen mit sich gebracht hat, sollte man sich viel mehr als üblich daran gewöhnen, die Dinge aus dieser höheren Perspektive zu betrachten.
Von einem Tag auf den anderen – ja von einer Stunde auf die nächste – kann man durch einen Bombenangriff sein Zuhause verlieren und alles, was man geliebt hat, alles, woran man am meisten hing, die Objekte seiner tiefsten Zuneigung. Das menschliche Dasein wird relativ – das ist ein tragisches und grausames Gefühl, kann aber auch der Ausgangspunkt einer Reinigung (Katharsis) sein und das Mittel, um das Einzige hervorzubringen, das nie erschüttert und nie zerstört werden kann. Wir müssen uns vergegenwärtigen, daß sich aus vielerlei Gründen ein Aberglaube verbreitet und tief verwurzelt hat, der allen Wert auf das rein individuelle und irdische Leben legt – ein Aberglaube, der in anderen Zivilisationen kaum bekannt war oder ist.
Die Tatsache, daß der Westen sich nominell zum Christentum bekennt, hat daran kaum etwas geändert: Die ganze Lehre vom übernatürlichen Dasein des Geistes und seinem Fortbestehen nach dem Tod hat diesen Aberglauben nicht wesentlich untergraben; sie hat nicht dazu geführt, daß das Wissen um das, was nicht mit der Geburt beginnt und nicht mit dem Tod endet, in den Alltag, in das Gefühls- und biologische Leben einer hinreichenden Anzahl von Menschen eingedrungen wäre. Stattdessen klammern sich die Menschen krampfhaft an jenen kleinen Abschnitt der gesamten Existenz, den das individuelle Leben darstellt – und versuchen mit aller Kraft, zu ignorieren, daß der Halt, den dieses Leben bietet, kaum sicherer ist als ein Grasbüschel, das man ergreift, um nicht von einem reißenden Strom fortgerissen zu werden.

Gemälde von Konstantin Wassiljew
Diese Einsicht erwacht nicht etwa als etwas Kopflastiges oder „Andächtiges“, sondern als lebendige Tatsache und befreiendes Gefühl – ein kreativer Wert, den alles Tragische und Zerstörerische in der heutigen Zeit zumindest für die Besten unter uns haben kann. Es geht nicht darum, Gefühllosigkeit zu predigen oder einen falsch verstandenen Stoizismus. Ganz im Gegenteil: Es geht darum, eine Haltung der Losgelöstheit gegenüber sich selbst, den Dingen und den Menschen zu entwickeln – eine Haltung, die Ruhe verleiht, unvergleichliche Gewißheit und sogar, wie wir bereits sagten, Unbeugsamkeit. Es ist ein Sich-Vereinfachen, ein Sich-Entäußern in einem Zustand des Wartens, mit festem, umfassendem Geist und mit dem Bewußtsein von etwas, das jenseits allen Daseins existiert. Aus diesem Zustand erwächst auch die Fähigkeit, jederzeit wieder neu beginnen zu können – ex nihilo, mit einem frischen, neuen Geist, das Vergangene und Verlorene zu vergessen und sich ausschließlich auf das zu konzentrieren, was noch positiv und schöpferisch möglich ist.
Eine radikale Zerstörung des „Bourgeois“, der in jedem Menschen existiert, ist in diesen zerrütteten Zeiten eher möglich als je zuvor. In dieser Zeit kann der Mensch sich selbst wiederfinden, kann wirklich vor sich selbst stehen und sich daran gewöhnen, alles vom „anderen Ufer“ aus zu betrachten – um dem Bedeutung und Wesentlichkeit zurückzugeben, was in jedem normalen Dasein bedeutsam sein sollte: die Beziehung zwischen Leben und dem „Mehr als Leben“, zwischen dem Menschlichen und dem Ewigen, zwischen dem Vergänglichen und dem Unvergänglichen.
Wege zu finden, damit diese Werte nicht nur behauptet, sondern tatsächlich gelebt werden – jenseits von Behauptung und Pose –, und damit sie in dieser Stunde der Bewährung bei möglichst vielen Menschen kraftvoll zum Ausdruck kommen, ist zweifellos eine der Hauptaufgaben der politisch-geistigen Elite unserer Nation.
Quelle: https://www.arktosjournal.com/p/from-survival-to-liberation
Beitragsbild: Ausschnitt/Cover des Buches ›Metaphysics of War‹
Hoch über dem Chaos der Welt erhebt sich,
weithin leuchtend,
der Berg in Mitternacht,
der hohe Hügel der Verheißung.
Inmitten der Brandung erregter Tage
trotzt er, schroff und unzugänglich,
von Ewigkeit zu Ewigkeit
und bietet Zuflucht und Heimat nur den wenigen,
die gewohnt sind,
unter Opfern und Entbehrung
ein gefährliches Dasein zu leben.
Kalt ist der Stein des Berges im Norden,
und rauh sind die Winde,
die sich an seinem Gipfel spalten.
Schwächlingen graust vor seiner wilden Eintönigkeit.
Und Menschen, die da glauben,
Schönheit erwüchse nur
in den vor Stürmen geschützten,
wärmeerfüllten Tälern,
fürchten, daß ihr Herz erstarren müsse
in der Kälte jener Erhabenheit.
Und wenn es in der Welt dunkel wird,
wenn die Menschen der Täler
im Traume alle Hoffnung hingeben
an Wünsche des ewigen Friedens
und der fortdauernden Glückseligkeit,
dann beginnt der Berg in Mitternacht zu glühen
und die Herzen der Wenigen leuchten
in ihrer Begeisterung
für das gefährliche Wachsein
wie Fackeln in der Nacht.
(Kurt Eggers)
1905-1943
Wird der Archäofuturismus auf die Konvergenz der Katastrophen folgen? [Teil 1]