Gerhard Hess

Rune Z = Ziu-Tiu

                                                                  

 Abb. 1 a + b  – a: Postkarte von 1908 mit Unterschriftung: „Herrgott von Bentheim  Altes Kreuzbild 8. – 9.-Jahrhundert“– b: Mit Unterschriftung: „Der Herrgott von Bentheim ist eines der ältesten Zeugnisse christlichen Lebens im norddeutschen Raum. Im 10. und 11. Jahrhundert wurde Christus oft als Herrscher der Welt dargestellt.“

Der ›Herrgott von Bentheim‹ ist – wie oft irrig interpretiert – kein „Kruzifixus“, seine Hände sind nicht genagelt, er hängt nicht am Galgenkreuz, er steht lebend (!) vor dem gleichschenklig verstandenen Sonnenkreuz-Symbol. Der senkrechte Kreuzbalken endet mit Abschluss des Rocksaumes. Beim röm. Bestrafungskreuz und seinen Abbildungen in der Kunst sind die Proportionen sehr viel anders ! Seine gesamte Erscheinung ist geschaffen, die – Rune zu verkörpern und damit den altgermanischen-altsächsischen Himmelsgott Tiwaz-Tiu. Sein Haar ist schlicht, fällt gleichmäßig vom Mittelscheitel nach beiden Seiten bis zu den Schultern herab. Er trägt ersichtlich einen Schnauz- oder Knebelbart, was auch im Titelbild der Schrift von Theodor Hacke ›Bentheim und der Herrgott von Bentheim‹, Osnabrück von 1898, deutlich wird.
In seiner Erkenntnis des Bentheimer Burg-Berges als vorchristlicher Kult- und Weiheort ist ihm auch nicht zu widersprechen, sondern allein hinsichtlich der Einordnung des Herrgott-Standbildes. Einige Informationen aus dem Text von Th. Hacke ab S. 10:
Grad wo der Burg gegenüber des Drusus Felsen emporstrebt. In dieser äußersten Ecke der Kronburg, so wird behauptet, war in vorchristlicher Zeit ein Tempel der Heidenerrichtet – Ob TANFANA vielleicht, ob ein anderer Tempel wahrscheinlich – Tacitus spricht nicht dagegen, wenn erstere Deutung gewählt wird. Achthundert Jahr nach Christi Geburt ist der Tempel gefallen, und auf der Stelle daselbst, wo die Heiden den Götzen verehrten, ist der erste Altar, der Altar des Antonius gegründet; diesem folgte dann später Kathrinens Kirche am Burgthor.
Ab S. 36:
Wir möchten unter solchem größeren Tempel eine Haupt-Cultstätte, eine Cultstätte ersten Ranges verstehen, zu welcher behufs der Verrichtung der heiligen Gebräuche, der Darbringung der Opfer, zur Abhaltung auch größerer und besonderer religiöser Feste die Abgesandten des ganzen Gaues erscheinen mußten, zu welcher förmliche Wallfahrten stattfanden. Die Wichtigkeit der ungestörten Religionsausübung an einem Hauptaltar auf der einen sicheren Schutz verleihenden Felsenburg möchte neben ihrer strategischen Wichtigkeit zugleich der Anlaß gewesen sein, weshalb gerade diese Bentheimer Berge der Mittelpunkt eines größeren Gaues werden konnten. Beides, die Eigenschaft einer natürlichen starken Festung, wie das bisher in unserer Erörterung nur vermuthete Vorhandensein einer Haupt-Cultstätte könnten Karl den Großen veranlaßt haben, gerade auf diesen Felsenberg, wie es als geschichtlich geschehen angenommen werden kann, die ersten Bentheimer Grafen einzusetzen und zu bestallen. […] Daß nun eine alte heidnische Cultstätte auf dem Felsenberg zu Bentheim bestanden habe, haben wir bisher blos als möglich und wahrscheinlich hingestellt, doch hoffen wir im Weiteren darüber zur vollen Ueberzeugung zu gelangen. […] Nun sagt aber die Ueberlieferung deutlich und kategorisch, daß an jener Stelle der Burg, auf welcher zur christlichen Zeit der Antoniusaltar gestanden, ehemals ein ,HEIDENTEMPEL‘ sich befunden habe. […] Kehren wir jetzt zu unserem Heidentempel zurück und wiederholen wir uns das bisher Gesagte in seinen Grundzügen. Wir haben gesehen, daß der Bentheimer Felsenberg in alter Zeit als uneinnehmbar gelten mußte, daß diese feste Burg, weil isolirt innerhalb einer weiten, nur durch Waldesdickicht vielleicht geschützten Gegend in kriegerischen Zeiten ein gesuchter Zufluchtsort war, daß ferner die Römer wiederholt in der Umgebung Bentheims verkehrt und mit großer Wahrscheinlichkeit ein Castell daselbst gehabt haben müssen, daß der befestigte Platz einschließlich der Wall- und Hagen-Anlagen gewiß wohl dem ganzen Volke der Tubanten eine sichere Unterkunft im Kriegsfalle gewähren konnte. Wir nehmen als sicher an, uns stützend auf Ueberlieferung, Oertlichkeit und Gewohnheit der Vorfahren, daß zu Bentheim eine heidnische Cultstätte gewesen sei, und halten weiter die Vermuthung für begründet, daß, dem vor Zeiten großen Menschenverkehr auf den Bentheimer Höhen entsprechend, auch eine größere Hauptcultstätte dort gepflegt und gehalten wurde, zu welcher Wallfahrten im großen Maßstabe werden stattgefunden haben müssen. […] Die Kreuzesfigur stellt den Heiland dar. Manche meinen, daß die Figur Aehnlichkeit mit den altchristlichen Bildern auf den Externsteinen habe; der Architekt, weiland Herr Professor Ewerbeck zu Aachen, welcher sich mehrere Jahre in Bentheim aufhielt, war der Ansicht, daß das Kreuz aus dem Ende des elften Jahrhunderts stammen möchte. Eine an den Herrn Geh. Regierungsrath Professor C. W. Hase in Hannover unter Beifügung einer Photographie des Kreuzes gerichtete Bitte um Auskunft über das muthmaßliche Alter des Kreuzes wurde in sehr liebenswürdiger Weise dahin beantwortet, daß das Alter genau sehr schwer zu bestimmen sei; das Kreuz sei sehr alt, es habe mit den Bildern auf den Externsteineu nichts zn thun, letztere seien aus dem Jahre 1115, das Bentheimer Kreuz sei älter; es sei in ganz ungewöhnlicher Weise ein flaches Relief, ohne künstlerischen Werth, müsse nothwendig einer Zeit entstammen, in welcher die Sachsen noch gerne die christlichen Werke zerstörten und könne aus dem Anfang des 10. Jahrhunderts stammen. Wir können hiernach dieses Kreuz wohl für das älteste oder eins der ältesten christlichen Altarbilder halten, welches an Stelle des Heidentempels auf dem Felsen zu Bentheim an jenem Heerwege auf dem Kreuzkampe errichtet wurde. […] In Ohne, dem kleinen Nachbarorte zu Bentheim wird auch, so scheint es, wie an Vielen anderen Orten ein Herrgott, aber ein kleines Kreuz, aus Holz nur, gestanden haben, denn man nannte in alten Zeiten nach dem Berichte der Geschichtsschreiber der Grafschaft das Dorf Ohne: GOD’S OHNE, also das Ohne, wo gleichfalls ein Gottesbild, ein Kreuz, im jetzigen Sinne ,ein Altar‘ oder ,eine Kirche‘ errichtet war…

Zurück zur Figur selbst. Ringfinger, Zeigefinger und Daumen der linken Hand sind beringt. Die Symbolik der drei Ringe wäre zu deuten: Abgesehen davon, dass aller guten Dinge Dreie sind, würde der Ringfinger auf die Verbundenheit in Liebe zum Menschengeschlecht hinweisen, dessen Vater Ziu-Tyr nach altem Glauben ist –, der Zeigefinger hat die Deutungskraft des Erkennens von Recht und Unrecht –, und der Daumen trägt die Gewalt des Verurteilens oder Begnadigens, wie er das bei den römischen Cäsaren schon ausübte. Die Daumen der Bentheim-Figur sind betont nicht abgespreizt, vielmehr dem Zeigefinger angelegt, als Zeichen der absoluten Neutralität des Rechtssprechers. Keine Christusdarstellung hat jemals einen Ring getragen!

Der Oberkörper ist in ein eng anliegendes Wams gehüllt, das oberhalb der Achseln bzw. im Delta-Muskeln-Bereich endet, über einem an den Armen eng anliegenden Hemd, dessen Abschlussbündchen vor den Handgelenken zu erkennen sind. Die heidnische Priesterdarstellung der „Steinsäule von Wildberg“ (Landesmuseum Stuttgart) zeigt eine ähnliche Gewandung mit dem in Front schließenden Rock und den beiden weit herabhängenden Gürtelbänderenden. Über der linken Brust, in Herzhöhe, scheint eine verwitterte Struktur sichtbar, bei der es sich um einen Sonnenwirbel oder eine fünfblättrige Hagrosenblüte gehandelt haben könnte ?

Die Maße der aus Bentheimer Sandstein geschaffenen Großplastik aus vor- oder frühkarolingischer Zeit sind: Höhe ges. 2,80 m, Br. 1,39 m, T. 0,25. Es wird mitunter angegeben, die Arbeit sei frühromanisch, also dem 12. Jh. angehörend, doch dürften die reichspolitisch gesponserten Benediktinermönche des Klosters Werden, die in der Grafschaft Bentheim im 11./12. Jhs. begütert waren, kaum die Neuschaffung einer derart vom Schema abweichenden Gestaltung ihres „christlichen Heilands“ geduldet haben. Sie werden ihn aber geduldet haben müssen, wenn er aus alter Tradition herrührte.

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