Stefano Moggio
Das Blut eines Helden ist Gott näher als die Tinte der Philosophen und die Gebete der Frommen
Traditionell wird von einem ›Heldenzyklus‹ gesprochen, der die beiden dekadentesten Epochen (Bronze und Eisen) durchläuft, in denen bestimmte Individuen – „Helden“ genannt – trotz der degenerierten Zeiten, in denen sie gelebt haben, in der Lage waren, die „Rückreise“ anzutreten, um sich wieder mit ihrer göttlichen Seite zu verbinden und das ›Goldene Zeitalter‹ in sich selbst wiederherzustellen.
In den antiken Mythen lesen wir häufig von Männern – ja von Helden –, die die Gunst der Götter genossen. Das Verhalten des Menschen, wenn es heroisch oder olympisch ist oder wenn es mit bestimmten Tendenzen übereinstimmt, die den Göttern eigen sind – d.h. subtilen Intelligenzen, die von der Anziehung zur Materie losgelöst sind –, führt dazu, daß er von numinosen Mächten unterstützt wird, die sich normalerweise von den Sterblichen fernhalten.
Übersetzt: Das heroische Handeln erlaubt dem Menschen, sich dem direkten Einfluß jener Kräfte und Energien auszusetzen, auf die sich der Durchschnittsmensch unmöglich einstimmen kann. Es ist die Gunst der Götter, die ihren Zögling bei Unternehmungen flankieren, bei denen die menschliche Kraft allein ihn scheitern lassen würde.
Held ist auch der Mensch, der einen ständigen Kontakt mit der Göttlichkeit in sich selbst hergestellt hat und sich über die meisten selbstsüchtigen und sinnlichen Tendenzen erhebt, die die Menschheit an ihr Elend ketten. Held ist der Mensch, der aufgehört hat, sich von seinem Ego leiten zu lassen, weil er einen anderen Führer gefunden hat: sein SELBST oder den unsterblichen Gott, der in den Tiefen seines eigenen Herzens wohnt.
Es ist schwierig, diese okkulte Essenz zu erwecken, aber für diejenigen, die sie entdecken, für diejenigen, die beginnen, ihre Stimme zu hören, beginnt ein neues inneres Leben Gestalt anzunehmen.
Eine solare Sicherheit durchdringt das Wesen, löst Ängste und Befürchtungen auf: Eine neue Form des Bewußtseins tritt an die Stelle des getrübten Automatenbewußtseins, das bis vor kurzem glaubte, der absolute Herr dieses Lebens zu sein. Der Kontakt mit dem eigenen okkulten Wesen erfolgt durch eine Art Liebesbeziehung (›hero‹ kommt von ›eros‹, Gott der Liebe, und Liebe läßt sich etymologisch auf ›a-mors‹, die „Abwesenheit des Todes“, zurückführen).
Nur wenn die Ängste ihren Zugriff verlieren, kann man sicher sein, daß das ICH eine authentische Handlung vollzieht: Alle Ängste entstammen dem instinktiven und animalischen Teil des menschlichen Komplexes, der in der Struktur des individuellen Egos „verfeinerte“ Gestalt annimmt – die Angst, so hat jemand gesagt, ist die achte Todsünde, die Wurzel der bekannten sieben.
Angst ist nichts für Helden und auch nichts für Götter. Ein Gott weiß, daß er alles kann, daß er ewig ist, daß kein Wesen im Universum ihm etwas anhaben kann. Der Mensch, der die Göttlichkeit in sich selbst erweckt, ist genau der Held, der Taten vollbringt, die für die Menschen um ihn herum undenkbar sind, der Entscheidungen trifft, unmöglich für diejenigen, die es immer noch nicht wagen, auf die Stimme ihres Gottes zu hören. Der Mensch ist, wie die Alten sagten, „ein sterblicher Gott“, obwohl er sich dessen kaum bewußt ist, und könnte viel mehr tun, als er sich selbst erlaubt, wenn er sein Wesen erkennen würde.
Aber der Weg ist nur für wenige: Er gehört denen, die ihn mit Gewalt erobern. Der Held ist wach, er spricht mit seinem eigenen Gott und nicht mit den vielen perversen Dämonen, die in die Ohren der Schlafenden flüstern.
Der Weg der Helden ist nicht der Weg der Menschen, auch wenn sie ihn berühren und heimlich kreuzen mögen. Sie leben mitten unter uns, sie suchen keinen Ruhm, sie stellen ihre Talente nicht zur Schau. Sie mischen sich unter die Menge, anonym, schwer faßbar, sie gehen zwischen den Schatten umher und berühren sie: SIE SIND WACH. Sie segeln durch diese Welt der Finsternis, während sie zu anderen Ufern gerufen werden, erleben noch zu Lebzeiten das Echo der himmlischen Welt, aus der sie kommen.
Wir leben im Kali-Yuga, in einem Zeitalter, in dem der Materialismus vorherrscht und deren Tendenz dem Aufstieg des Geistes entgegengesetzt ist. Aber gerade deshalb wären die Errungenschaften und Leistungen, die den Seelen zugänglich sind, die in diesem Zeitalter die Herausforderung auf der Erde annehmen, in einem Zeitalter des Friedens, der Harmonie und des geistigen Wohlstands unmöglich zu erreichen.
Daher haben einige Stimmen der Tradition erklärt, daß in Wirklichkeit das Kali-Yuga das wahre ›goldene Zeitalter‹ ist… Das Streben nach der Reintegration des eigenen Wesens reicht nicht aus, um den Menschen auf den richtigen Weg zu bringen. Wir haben bereits gesagt, daß der Weg nur für wenige ist.
Heutzutage wimmelt es von Angeboten spiritueller Wege, ob gegen Bezahlung oder ohne, in einem Ausmaß, das über den New-Age-Trend hinausgeht: Jeder dieser Wege ist ein Nebenpfad, der vom Hauptweg des eigenen Lebens ablenkt, und, wenn man ihn bis zum Ende verfolgt, eine Falltür zu einem Abgrund sich auftut, aus dem es praktisch unmöglich ist, wieder herauszukommen.
Quelle: https://www.ereticamente.net/la-via-eroica-stefano-moggio/
Beitragsbildquelle: Hermann als Sieger, Gemälde von Wilhelm Lindenschmit, um 1839
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