Karl-Heinz Hoffmann

 

Mein kindlicher Berufswunsch war, Soldat zu werden. Das erschien mir bis zum Kriegsende ganz selbstverständlich zu sein.

Mit der Niederlage war dieser Traum ausgeträumt. Deutschland hatte keine Armee mehr. Später, nach der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht gab es für mich, als Angehöriger des besiegten Volkes, gute Gründe mein leidenschaftliches Interesse für das Militärische nicht von den Siegermächten mißbrauchen zu lassen.

Auf keinen Fall wollte ich in eine Armee eintreten, die unter dem Oberbefehl einer Siegermacht steht. So kam es dann zu einer zwangsweisen Vorführung zur Musterung. Die näheren Umstände habe ich auch im ersten Band meiner Lebenserinnerungen genauer geschildert.

Es war noch sehr früh am Morgen als ich aus dem Bett geklingelt wurde. Gleich darauf klopfte es an der Wohnungstür. Wer mochte das sein? Wer erlaubte sich, mich so früh zu stören? Als ich die Tür geöffnet hatte, war ich erstaunt, zwei Polizisten vor mir zu sehen.

Wissen Sie, warum wir gekommen sind?

Nein, keine Ahnung. Was ist los?

Wir müssen Sie mitnehmen.

Und warum? Ich habe nichts ausgefressen.

Das nicht, aber wir haben den Auftrag, Sie zur Musterung ins Kreiswehrersatzamt zu bringen.

Damit hatte ich nicht gerechnet, aber ich zog mich fertig an und ging mit. Mir war klar, daß ich die Prozedur der militärischen Musterung auf die Dauer nicht verhindern konnte.

Als Angehöriger des Jahrgangs 1937 hätte ich eigentlich nicht nur längst gemustert, sondern auch schon meinen Dienst bei der Bundeswehr hinter mir haben müssen. Einen Gestellungsbefehl konnte man mir nicht schicken, weil ich gar nicht erst zur Musterung erschienen war. Um dem aus dem Wege zu gehen, hatte ich mich beim deutschen Einwohnermeldeamt für dauernd nach Teheran abgemeldet und später einfach nie mehr angemeldet.

Ich hätte nichts gegen die Ableistung des Militärdienstes gehabt, wenn Deutschland nicht in zwei Teile getrennt gewesen wäre. Wenn sich nicht zwei deutsche Staaten mit neugeschaffenen Armeen – jeweils einer anderen fremden Macht untertan – feindselig gegenübergestanden hätten.

Damals, zur Zeit des kalten Krieges, mußte man ja damit rechnen, daß er jederzeit zum heißen Krieg werden konnte. Die Vorstellung, dann auf Deutsche schießen zu müssen, war mir unerträglich. Ich stellte mir dabei vor, wie es sein würde, wenn ich bei einem Angriff auf einen verwundeten Soldaten treffe, der mit mir die Schulbank gedrückt hatte.

Wenn da ein Schulfreund liegen würde, die Gedärme aus dem Bauch gerissen und mich erkennt. Wenn er vielleicht zu mir sagt: „Du bist es Karl-Heinz? Bitte geh zu meiner Mutter und sage ihr, daß du mich sterbend an der Front gefunden hast.“

Mit dieser Vorstellung erkannte ich die faustische Tücke, mit der uns die Siegermächte ineinen Bruderkrieg führen wollten. An diesem widerlichen Spiel wollte ich unter keinen Umständen teilnehmen.

Nun mußte ich mich nach Jahren doch noch zur Musterung abführen lassen. Die Polizei hatte mich in den Räumen der Musterungsbehörde abgeliefert. Dort hieß es erst einmal: Ausziehen bis auf die Unterhose! Ich gehorchte, in der Hoffnung, alles schnell hinter mich bringen zu können. Doch die Zeit verging und nichts geschah. In dem Warteraum war ich nicht allein. Da saßen noch mehrere junge Männer in der Unterhose herum und warteten.

Das Zimmer war überheizt. Man kann sich den penetranten Geruch der schwitzenden Männer vorstellen. Mir schwoll der Kragen. So wie ich war, barfuß und nur mit der Unterhose bekleidet, ging ich hinaus auf den Korridor und öffnete die erstbeste Türe.

Da war ich gerade an der richtigen Stelle. Hinter einem Schreibtisch saß ein Major und sah mich halb erschrocken, halb verwundert an. Über ihm hing an der Wand eine schwarz-rot-goldene Fahne und vor ihm saß ein gerade eben Gemusterter. Er sollte wohl eine Belehrung, so eine Art vorgezogener Vereidigung über sich ergehen lassen, als ich hereinplatzte.

Was wollen Sie?, fragte der Major.

Ich will gar nichts. Ich soll etwas, ich soll gemustert werden.

Na, dann gehen Sie doch in das Wartezimmer!

Das werde ich nur dann tun, wenn ich sofort drankomme. Ich bin nicht aus freien Stücken hierhergekommen.
Ich bin von der Polizei hierhergeschleppt worden. Wenn ich jetzt nicht gleich drankomme, dann ziehe ich
mich an und gehe wieder nach Hause.

Gut, gehen Sie jetzt. Ich werde veranlassen, daß Sie gleich zur Untersuchung geholt werden.

Die körperliche Untersuchung ergab keine Mängel. Ich verwies auf Migräne. Das führte aber nur dazu, daß ich zur Verwendung für Gebirgstruppen als ungeeignet eingestuft wurde.

Dann mußte ich ins Nebenzimmer zum Psychologen.

Legen Sie sich mal hier auf die Couch.

Ist das notwendig?

Ich fand das affig. Was zu sagen war, konnte auch im Stehen besprochen werden, aber der Weißkittel beharrte auf der Durchführung seiner Anweisung. Da lag ich nun und harrte der Fragen.

Als er wissen wollte, zu welcher Waffengattung ich eingezogen werden möchte, sagte ich rotzig

Da müssen Sie aber jetzt selber lachen!

Der konnte doch nicht ganz richtig im Kopf sein. Er wußte doch, daß ich nicht freiwillig da war. Doch der Psychologe verzog keine Miene und antwortete:

Sie sehen doch, daß ich nicht lache.´

Na gut, wenn Sie es unbedingt wissen wollen,er spitzte die Ohren

ich möchte zur Waffen-SS in die Küche.

Das reichte für den Augenblick und, wie sich herausstellen sollte, auch für die nächsten Jahre. Niemals wieder habe ich von der Bundeswehr etwas gehört.

Auszug aus dem Buch:

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karl.heinz.hoffmann.fks-prc@gmx.de