Jean-Patrick Arteault
Die erste Selbstverleugnung, gewissermaßen die grundlegende Verleugnung, ereignete sich vor fast zweitausend Jahren mit dem Phänomen der Christianisierung. Zu diesem Zeitpunkt begannen sich die Werte des nahöstlichen Judentums im indoeuropäischen Raum zu etablieren.
Es geht hier nicht darum, das Judentum an sich zu kritisieren: Als Produkt der hebräischen Ethnie und somit in Symbiose mit ihrer Natur ist das Judentum eine Religion und ein Wertesystem, das dem Überleben und dem Machtstreben dieser Ethnie in bemerkenswerter Weise gedient hat.
Aber außerhalb ihres ethnischen Kontextes, angepaßt und in ihrer Form verändert, um sich besser an die europäische Mentalität anzugleichen, wurden die vom frühen Christentum übernommenen Werte des Judentums zu einem spirituellen, kulturellen, sozialen und politischen Gift.
Das frühe Judäo-Christentum hatte nicht die Absicht, sich außerhalb der jüdischen Welt zu verbreiten: Es handelte sich lediglich um eine jüdische Häresie, die behauptete, daß der von den Juden so lang erwartete Messias endlich in der Person Jesu von Nazareth gekommen sei.

Martialischer Christus im Feldherrenmantel: Mosaik aus dem 5./6. Jahrhundert in der Capella di Sant’Andrea des erzbischöflichen Museums in Ravenna. (Bild: zvg)
Sehr schnell geriet diese jüdische Häresie, die zu dieser Zeit nicht die einzige war, jedoch in eine Sackgasse: Die überwiegende Mehrheit der Juden erwartete keinen leidenden Messias, der einen schmählichen Tod am Kreuz starb, sondern einen königlichen und kriegerischen Messias, der sie für ihre jahrhundertelangen Demütigungen und Niederlagen durch die Babylonier, Assyrer, Perser, Griechen und schließlich die Römer rächen und ihnen das geben würde, was ihr Gott ihnen versprochen hatte: die Herrschaft über die Nationen.
Der hellenisierte Jude Paulus von Tarsus blieb derjenige, der diese Sackgasse erkannte und – während er die jüdische Hoffnung auf die Demütigung des neuen römischen Babylons wieder aufgriff – die Entscheidung traf, sich gegen die erste christliche Gemeinde in Jerusalem zu stellen und die Predigt für die Heiden zu öffnen, indem er ihnen die Bekehrung durch den Glauben erleichterte, ohne von ihnen zu verlangen, daß sie zuvor Juden wurden.
Wir wissen, daß der Prozeß der Christianisierung komplex war und daß der Austausch in beide Richtungen erfolgte: Um sich zu etablieren, mußte das Christentum Orte, Riten, Feste und Symbole aus den einheimischen Religionen übernehmen, aber es pflanzte im Gegenzug giftige Samen, die sich im Laufe der folgenden Jahrhunderte entwickeln sollten.

Harald Blauzahn (†987) regierte Dänemark und Norwegen. Er gilt als erster christlicher König Nordeuropas. Die meisten Dänen und Norweger bekehrte er jedoch zunächst nicht. Bildquelle: Wikipedia
Wir werden vier davon herausgreifen, die am schädlichsten werden sollten. Zunächst der Egalitarismus, der aus der Darstellung der Beziehung der Menschen zu ihrem einzigen göttlichen Schöpfer hervorgeht: Die Menschen, Geschöpfe Gottes, sind ihm gegenüber gleichberechtigt. Nichts, keine unterscheidenden Eigenschaften oder Identitäten, die das Ergebnis der menschlichen Geschichte sind, hat im Hinblick auf den Schöpfer einen wirklichen Wert.
Dann der Individualismus, der aus der Notwendigkeit jedes Menschen entsteht, sein individuelles Heil in seiner Beziehung zu Gott zu erlangen. In dieser grundlegenden Perspektive kann keine Gruppenzugehörigkeit legitimerweise dazwischenstehen.
Schließlich ist der Christ nur ein Reisender auf einer Erde, die für ihn nicht die wahre Welt ist. Sein Ziel liegt im Jenseits, im himmlischen Jerusalem. Hier unten, in diesem Tal der Tränen oder Ort der Glaubensprüfung, lohnt es sich nicht, sich an etwas zu binden, schon gar nicht an Städte, Sippen oder Stämme, deren Schutzgötter, also ihre besonderen Werte, in seinen Augen nur leere Idole sind, wenn sie nicht sogar die Maske des Dämons darstellen. Der Christ versteht sich als Fremdling auf der Durchreise zu einer weitaus erstrebenswerteren höheren Welt.
Zum Abschluß dieser kurzen Zusammenfassung sei noch hinzugefügt, daß die teleologische Sichtweise, mit der das Christentum die Weltgeschichte betrachtet, die sich bis zur Wiederkehr Christi auf die Erde in einer aufsteigenden Richtung entwickelt, den Keim der Idee eines Fortschritts vom Schatten zum Licht in sich trägt.
Sicherlich sieht man in der Geschichte des ersten christlichen Jahrtausends in Europa, grob gesagt bis zur protestantischen Reformation, einen unbewußten Versuch des Synkretismus zwischen den mächtigen Überresten der Werte der heidnischen Europäizität und dem Christentum, um dieses heidnisch-christliche Mittelalter zu bilden, in dem unter anderem so viele alte Götter die Gewänder christlicher Heiliger anlegten, so viele christliche Feste in die Form antiker Feste gegossen wurden oder die antike indoeuropäische Dreiteilung in Form der drei Stände (oratores, bellatores, laboratores) wieder auftauchte. Dieser Synkretismus wurde jedoch stets von den christlichen Theologen bekämpft, die sich der Fremdartigkeit dieser Praktiken im Hinblick auf ihre heiligen Bücher hebräischen Ursprungs bewußt waren.

Martin Luther 1521 bei der Übersetzung der Bibel, Gemälde von Eugène Siberdt (1851–1931)
Die protestantische Reformation im 16. Jahrhundert, die sich wieder dem sorgfältigen Studium der biblischen Texte zuwandte und einen rejudaisierten Ansatz des Christentums förderte, läutete das Ende dieses instabilen Synkretismus ein, auch wenn die Gegenreformation diese Entwicklung eine Zeit lang bremsen konnte (eine sorgfältige Untersuchung des Barock, die hier nicht dargestellt werden kann, wäre in dieser Hinsicht aufschlußreich).
Im 20. Jahrhundert knüpfte die römisch-katholische Kirche, die vier Jahrhunderte zuvor noch Feindin der protestantischen Reformation gewesen war, ebenfalls wieder an den jüdischen Geist ihrer Ursprünge an. Noch vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das die europäischen Einflüsse innerhalb des katholischen Christentums reinigte, hatte Papst Pius XI. am 6. September 1938 erklärt:
Geistig gesehen sind wir alle Semiten.
Pius XII. übernahm diese Einschätzung in seiner Enzyklika Summi Pontificatus vom 20. Oktober 1939.

Papst Pius XII., Bildquelle: picture alliance/arkivi
In der Zwischenzeit hatten sich jedoch die Werte oder vielmehr die Anti-Werte des Christentums aus ihrem religiösen Rahmen gelöst, um sich zu säkularisieren und die Ideologien der Moderne zu nähren. Hier sind drei theoretische und praktische Etappen zu unterscheiden. Sie markieren die Abfolge der Philosophie der Aufklärung im 18. Jahrhundert mit den liberalen und sozialistischen Ideologien.
Die Philosophie der Aufklärung kämpfte offiziell gegen die katholische Kirche, aber nicht gegen die christlichen Werte, für die sie sich bemühte, eine neue säkularisierte Version zu schaffen, die von der göttlichen Hypothese befreit war. Die neue Religion der Menschenrechte ging direkt aus ihr hervor, durch die berühmten Erklärungen der Vereinigten Staaten von 1776 und Frankreichs von 1789. In der Fortsetzung der Aufklärung, aber auf zwei verschiedenen Seiten, entwickelten sich Liberalismus und Sozialismus.

Hinrichtung Ludwigs des XVI. – Kupferstich aus dem Jahr 1793, Georg Heinrich Sieveking. Bildquelle: Wikimedia
Der Liberalismus hat in seinem politischen und wirtschaftlichen Ansatz im wesentlichen die individualistische Thematik entwickelt. Das Ziel des Liberalismus läßt sich so zusammenfassen: den Menschen zu einem souveränen Individuum zu machen, das von allen identitären Zugehörigkeiten losgelöst ist und sich allein von seiner Vernunft und seinen Interessen leiten läßt. Letzteres ist untrennbar mit einer Revolution der wirtschaftlichen Praktiken verbunden, die seit dem 16. Jahrhundert im Gange ist: der kapitalistischen Revolution.
Der Liberalismus kam gerade rechtzeitig, um dem modernen Kapitalismus, dessen protestantische Wurzeln von Max Weber gut beschrieben wurden, den sozialen und politischen Rahmen zu liefern, der ihn rechtfertigen konnte. Kapitalismus und Liberalismus trugen auch dazu bei, alle Rahmenbedingungen zu sprengen, die die maßlosen kommerziellen und finanziellen Ambitionen in der Welt der indoeuropäischen Werte einschränkten.
Im Gegensatz dazu entwickelte der Sozialismus, dessen erfolgreichster Vertreter der Marxismus war, die egalitäre Seite der Säkularisierung des Christentums. Die Proletarier sind alle Brüder und müssen ihre Unterschiede im Hinblick auf ihre Emanzipation vom Kapitalismus als zweitrangig betrachten. Es wäre jedoch falsch, Kapitalismus und Sozialismus als radikal gegensätzlich zu betrachten.
Einerseits basiert der Sozialismus auf denselben theoretischen wirtschaftlichen Grundlagen wie der liberale Kapitalismus, den er lediglich anders interpretiert. Andererseits haben sich bestimmte sozialistische Schulen, die keine Medienpräsenz anstreben, aber auch heute noch zu den einflußreichsten zählen, für die Verschmelzung von Kapitalismus und Sozialismus eingesetzt.
In Frankreich handelt es sich dabei um den ›Saint-Simonismus‹ und im angelsächsischen Raum um den ›Fabianismus‹. Denn auch wenn der Marxismus mit seinen wirtschaftlichen und politischen Ansprüchen gescheitert ist, verdankt der heutige Globalismus den theoretischen und praktischen Engagements dieser beiden sozialistischen Schulen viel.
So wurden von Anfang an vier Anti-Werte festgelegt, deren konkrete verheerende Auswirkungen wir in unseren kosmopolitischen Gesellschaften beobachten können. Konkret äußert sich dies in zwei gleichzeitigen Bewegungen, die unsere europäischen Länder in die Zange nehmen.
Erstens das Engagement der Wirtschaft und der Arbeitgeber für die wirtschaftliche Globalisierung zur Schaffung eines Binnenmarktes, der die europäischen Arbeitskräfte in einen unlauteren Wettbewerb mit denen aus Niedriglohnländern bringt, was sowohl zum Verlust der Produktionskraft der europäischen Nationen als auch zur allmählichen Verarmung der Einheimischen durch Arbeitslosigkeit und sinkende Löhne führt.

Fotoquelle: picture alliance/dpa
Angesichts der Alterung der europäischen Bevölkerung, die Probleme für die Finanzierung der Sozialsysteme und die Innovationsdynamik mit sich bringt, befürworten dieselben Kreise auf der Grundlage von Wirtschaftsstudien, die sie großzügig finanzieren, die als notwendig erachtete Einwanderung von dreißig bis vierzig Millionen Ausländern.
Es sind übrigens dieselben Kreise, die bei den europäischen Völkern einen hedonistischen, genuß- und konsumorientierten Individualismus gefördert haben, Kinder als Belastung betrachten und die Arbeit von Frauen zum Nachteil der Finanzierung von Familien gefördert haben.
Damit verhalten sich diese Wirtschaftskreise sowohl wie Abtrünnige als auch wie Verräter. Abtrünnig, weil für sie ein menschlicher Zweibeiner dem anderen gleichwertig ist und sie absolut nicht erkennen, inwiefern die Masseneinwanderung eine Gefahr für die ethnische Ökologie darstellen könnte.
Mehr noch, sie wünschen sich diese Subversion, weil sie der Moral ihrer Weltanschauung entspricht. Verräter sind sie auch, weil sie keineswegs unbewußt handeln, sondern dies absichtlich tun, wobei einige sogar davon überzeugt sind, konkrete Vorteile aus ihrem Verrat zu ziehen.
Wir haben die Geschäfts- und Finanzkreise an die Spitze der Liste gesetzt, weil sie in unserer Welt der kapitalistischen Globalisierung die wahre Macht haben: Nichts kann gegen sie oder ohne ihre Zustimmung geschehen. Diese Kreise sind keine unpersönlichen oder abstrakten Kräfte, sondern, wiederholen wir es, sie umfassen identifizierbare Personen, die persönlich verantwortlich sind, weil sie direkt von einer Situation profitieren, auf die sie bewußt einwirken.
Aber diese Kreise sind nicht die augenfälligsten. Der Medienzirkus zieht es vor, den Schwerpunkt auf die „Zivilgesellschaft und die Bürger” zu legen (sic!). Wir wollen hier nicht über Fernsehschauspieler, von der politischen Korrektheit geprägte Hofintellektuelle oder professionelle „große Gewissen” sprechen, sondern vielmehr über die riesige Armee der Verleugner, der Aktivisten des alltäglichen Verrats.
Sie sind diejenigen, die Antonio Gramsci, der zu seiner Zeit ein Meister der marxistischen Subversion war, als „organische Intellektuelle” bezeichnete, nicht die Intellektuellen, die von der Universität als solche geprägt wurden, sondern all jene, die mit einem kleinen theoretischen Wissen, einem Know-how in Sachen Agitprop, einer gewissen sozialen Kompetenz und einem ideologischen Bewußtsein ausgestattet sind und konkret daran arbeiten, die Machtverhältnisse in der sozialen Organisation zu verändern. Sie sind in alle Richtungen tätig, und es ist praktisch unmöglich, alle ihre Tätigkeitsbereiche aufzuzählen. Nennen wir hier nur zwei, um uns ein genaueres Bild von der Vorgehensweise (und den Schäden…) dieser Personen zu machen.

Die D.A.L. (›Droit Au Logement‹, Recht auf Wohnen) ist darauf spezialisiert, leerstehende Wohnungen oder öffentliche Gebäude (z. B. Sporthallen) aufzuspüren und illegal zu besetzen, um dort „undokumentierte” Ausländer unterzubringen und mit Verwüstungen zu erpressen, bis die Behörden bereit sind, die sogenannten „Undokumentierten” auf Kosten der Steuerzahler unter „menschenwürdigen Bedingungen” unterzubringen.
Die G.I.S.T.I. (›Groupe d’Information et de Soutien aux Travailleurs Immigres‹, Informations- und Unterstützungsgruppe für Arbeitsmigranten) vereint Anwälte und Angehörige juristischer Berufe, die konkrete Hilfe bei der Umgehung unserer ohnehin schon wenig wirksamen Einwanderungsgesetze leisten.

Quelle: Terre & Peuple Magazin, Nr. 31
Beitragsbild: Biblische Szene, Gemälde von Rembrandt
–
