Alexander Raynor

 argumentiert, daß eine chinesische Invasion in Sibirien die fragile Achse zwischen China und Russland zerstören, Moskau zu einer Neuausrichtung auf den Westen zwingen und unbeabsichtigt Guillaume Fayes Vision eines globalen Blocks weißer Nationen verwirklichen könnte – vereint gegen Pekings wachsende Hegemonie.

 

Während John Lonergans geopolitische Analyse in ›The Hill‹ aufzeigt, warum China statt Taiwan sibirische Ressourcen ins Visier nehmen könnte, übersieht er eine entscheidende geopolitische Konsequenz: Eine chinesische Invasion in Sibirien könnte paradoxerweise das erreichen, woran jahrzehntelange westliche Diplomatie gescheitert ist – Rußland zurück in die Arme Europas und der Vereinigten Staaten zu treiben.

Der Feind meines Feindes

Die derzeitige Partnerschaft zwischen China und Russland, oft als „grenzenlos“ beschrieben, beruht in erster Linie auf einer gemeinsamen Ablehnung westlicher Hegemonie und weniger auf einer echten strategischen Übereinstimmung. Diese Zweckgemeinschaft besteht hauptsächlich deshalb, weil beide Staaten vom gleichen Gegner – den USA – unter Druck gesetzt werden.

Lonergan verweist auf einen kürzlich erschienenen ›New York Times‹-Artikel‹, in dem aus russischen Geheimdienstdokumenten entnommene Informationen über wachsende Besorgnis gegenüber China veröffentlicht wurden. Lonergan hält es für möglich, daß China sich vom Partner zum Raubtier entwickeln könnte – was Moskaus gesamtes strategisches Kalkül auf den Kopf stellen würde.

Angesichts der derzeit unberechenbaren US-Außenpolitik könnte ein Strategiewechsel weg von Taiwan ratsam sein. Eine Aggression gegen Taiwan würde wahrscheinlich eine militärische und wirtschaftliche Reaktion der USA hervorrufen. Auch wenn Rußland im Ukraine-Konflikt derzeit die Kontrolle zu behalten scheint, ist offensichtlich, daß es nicht annähernd so stark ist, wie es zunächst schien. Der erhoffte Blitzsieg in der Ukraine blieb aus, der Krieg zieht sich weiter hin – mit der wiederaufkeimenden Bedrohung einer US-amerikanischen Intervention, da Präsident Trump Waffenlieferungen an die Ukraine verspricht. Rußland ist derzeit verwundbar.

Eine existentielle Bedrohung

Eine chinesische Invasion in Sibirien würde Rußlands territoriale Integrität auf eine Weise bedrohen, wie es westliche Sanktionen und diplomatischer Druck nie könnten. Im Gegensatz zu den Stellvertreterkonflikten und dem wirtschaftlichen Wettbewerb, die die Spannungen zwischen Ost und West bislang bestimmten, würde ein chinesischer Landraub das Herz russischer Identität und Existenz angreifen. Angesichts der Gefahr, seine rohstoffreichen Ostgebiete zu verlieren – jene wirtschaftliche Lebensader, die Rußland über Jahrzehnte der internationalen Isolation hinweg erhalten hat – bliebe Moskau kaum eine andere Wahl, als nach mächtigen Verbündeten zu suchen, die Chinas militärischer Stärke etwas entgegensetzen können.

Der Westen als das kleinere Übel

Aus russischer Perspektive erscheint der Westen plötzlich nicht mehr als Hauptbedrohung, sondern als potenzieller Retter. Europäische Staaten und die USA – trotz ihrer derzeitigen Konfrontationen mit Rußland – haben ein fundamentales Interesse daran, eine chinesische Hegemonie über eurasische Ressourcen zu verhindern. Die Vorstellung, daß China sowohl über seine eigenen Energiequellen als auch über sibirisches Öl und Gas verfügen könnte, würde ein Energiemonopol schaffen, das die wirtschaftliche Sicherheit des Westens ebenso bedroht wie Rußlands territoriale Integrität.

Diese Interessenkonvergenz könnte Jahrzehnte geopolitischer Lagerbildung rasch umgestalten. Rußlands riesiger militärisch-industrieller Komplex, sein Atomwaffenarsenal und seine intime Kenntnis chinesischer Militärstrategien wären in einem westlichen Bündnis von unschätzbarem Wert. Moskaus – nicht von China eroberte – Energieressourcen könnten Europa eine Alternative zu chinesisch kontrollierten Lieferungen bieten, während russisches Territorium als strategisches Puffergebiet und Aufmarschraum dienen könnte.

Der Ukraine-Präzedenzfall kehrt sich um

Der andauernde Ukraine-Konflikt hat gezeigt, daß Rußland bereit ist, enorme Ressourcen für die Verteidigung seines Einflußbereichs aufzuwenden. Doch Sibirien steht für weit mehr als bloßen Einfluß – es ist Kernterritorium Rußlands und enthält den Großteil seines natürlichen Reichtums. Wenn Rußland bereit war, seine Wirtschaft und internationale Stellung zu ruinieren, um die NATO-Integration der Ukraine zu verhindern, wäre es sicherlich zu noch größeren Opfern bereit, um einen tatsächlichen territorialen Verlust Sibiriens an China zu verhindern.

Im Gegensatz zur Ukraine-Situation, in der Rußland als Aggressor gilt, der seinen geopolitischen Einfluß ausweiten will, würde eine chinesische Invasion Rußland als Opfer ungerechtfertigter territorialer Aggression erscheinen lassen. Diese Rollenumkehr könnte den moralischen und rechtlichen Rahmen schaffen, der es westlichen Staaten ermöglicht, Rußland zu unterstützen, ohne den Eindruck zu erwecken, frühere russische Aggressionen an anderer Stelle zu belohnen.

Strategische Implikationen für den Westen

Westliche Entscheidungsträger sollten die Chancen erkennen, die eine chinesische Aggression gegen Sibirien bietet. Statt dies als fernen Konflikt zwischen zwei autoritären Regimen zu betrachten, sollte sich der Westen auf die Möglichkeit einer dramatisch veränderten geopolitischen Landschaft vorbereiten, in dem Rußland zum Partner im Kampf gegen chinesische Expansion wird.

Eine solche Partnerschaft würde nicht voraussetzen, daß der Westen Rußlands Handlungen in der Ukraine, in Georgien oder anderswo vergißt oder vergibt. Vielmehr wäre es eine pragmatische Allianz, geboren aus gemeinsamen, unmittelbaren Interessen: die Verhinderung chinesischer Kontrolle über eurasische Energiequellen und die Bewahrung des Gleichgewichts der Kräfte, das bisher globale Stabilität garantiert hat.

Ein historisches Vorbild gibt es: Die USA und die Sowjetunion legten ihre ideologischen Differenzen beiseite, um das nationalsozialistische Deutschland zu bekämpfen – trotz Stalins früherer Aggressionen und autoritärer Herrschaft. Ähnlich könnte eine chinesische territoriale Expansion den äußeren Druck erzeugen, der nötig wäre, um ein neues – wenn auch begrenztes – russisch-westliches Bündnis zu schmieden.

Die Kontrolle über sibirische Ressourcen bedeutet mehr als wirtschaftlichen Vorteil – sie bedeutet geopolitische Vorherrschaft. Chinas derzeitige Energieabhängigkeit zwingt es, Beziehungen zu mehreren Lieferanten aufrechtzuerhalten und Transportwege zu sichern, die anfällig für Unterbrechungen sind. Eine Eroberung Sibiriens würde diese Schwachstelle beseitigen, während sie gleichzeitig den Westen eines wichtigen Energielieferanten und Rußland seiner wichtigsten Devisenquelle beraubt.

Für Rußland würde der Verlust Sibiriens wirtschaftlichen Kollaps und den Abstieg zu einer zweitrangigen Macht bedeuten. Für den Westen würde chinesische Kontrolle über die Energiequellen – sowohl im eigenen Land als auch in Sibirien – gefährliche Abhängigkeiten und Verwundbarkeiten schaffen. Diese gemeinsamen Interessen könnten die bestehenden Spannungen zwischen Rußland und dem Westen überlagern.

Guillaume Fayes Vision wird Wirklichkeit

In seinem Werk ›Archäofuturismus‹ schlug Guillaume Faye die Idee eines neuen geopolitischen Blocks vor, in dem Europa und Rußland zu einer Föderation namens ›Eurosibirien‹ vereint wären. Das von Lonergan skizzierte Szenario würde eine ganz andere Dynamik schaffen: eine von den USA geführte Koalition mit Europa zur Rettung Rußlands vor chinesischer Aggression.

Faye hatte eine weitere Vision für die europäische Welt, die diesem Szenario näherkommt. In seinem Buch ›A Global Coup‹ [›Globaler Staatsstreich‹] beschreibt er eine globale europäische Allianz aus USA, Europa, Rußland und anderen europäischen Ländern weltweit, die er ›Septentrion‹ nennt. Er sieht darin die Vollendung des eurosibirischen Projekts. Könnte ein solcher chinesischer Angriff auf Rußland tatsächlich die europäische Welt einen?

Der russische Philosoph Alexander Dugin hingegen träumt von einem neuen russischen Imperium, in dem der gesamte eurasische Kontinent in die russische Einflußsphäre integriert wird – als Gegengewicht zur Hegemonie der Vereinigten Staaten. Er glaubt, daß Rußland eine einzigartige historische Rolle spielt und sich grundlegend von Europa unterscheidet – mit einem eigenen russischen Selbstverständnis.

Für Dugin stellt sich die Frage: „Ist Rußland europäisch?“ Doch die Frage „Ist Russland orientalisch?“ wird nie gestellt – sie gilt als absurd. Obwohl Lonergans Szenario höchst unwahrscheinlich ist, fordere ich Professor Dugin auf, sich dieser Möglichkeit zu stellen und eine völlig neue geopolitische Vision Rußlands zu denken: eine, in der Rußland und der Westen vereint sind.

Lonergans Analyse erkennt korrekt die strategische Logik hinter einem möglichen chinesischen Schwenk in Richtung Sibirien. Doch Pekings Planer unterschätzen womöglich die umfassenderen geopolitischen Folgen einer solchen Aggression. Durch die Bedrohung der territorialen Integrität Rußlands könnte China unbeabsichtigt das erreichen, was westliche Diplomatie nie geschafft hat: den Bruch des sino-russischen Bündnisses und die Rückkehr Moskaus zu einer Partnerschaft mit Europa und den USA.

Die höchste Ironie wäre, wenn Chinas Versuch, durch territoriale Expansion Ressourcen zu sichern, letztlich genau jene Koalition schmiedet, die ihm den Zugang zu diesen Ressourcen verwehren kann. Im Bemühen, die Komplikationen eines Taiwan-Konflikts zu vermeiden, könnte China stattdessen die Entstehung einer russisch-westlichen Allianz auslösen – eine Allianz, die Pekings langfristigen Ambitionen auf eine sino-zentrierte Welt entgegentreten würde.

Der geopolitische Bumerang

Der geopolitische Bumerang-Effekt, der durch einen chinesischen Vorstoß nach Sibirien ausgelöst werden könnte, wäre tiefgreifend. Anstatt die eigene strategische Position zu festigen, würde Peking möglicherweise eine massive Gegenreaktion provozieren – nicht nur von westlichen Staaten, sondern auch von einem Rußland, das sich in seiner Existenz bedroht sieht. Ein solcher Schritt würde das Fundament der gegenwärtigen sino-russischen Kooperation erschüttern und könnte zu einer historischen Neuausrichtung führen.

Rußlands strategisches Dilemma liegt auf der Hand: Setzt es weiter auf seine brüchige Partnerschaft mit China und riskiert dabei seine territoriale Integrität – oder wendet es sich einem feindlich gesinnten, aber berechenbareren Westen zu, der angesichts der chinesischen Bedrohung zum Partner wider Willen werden könnte?

Für China wiederum bestünde das Risiko, daß seine Expansionspolitik die seltene Gelegenheit schafft, seine Rivalen – Rußland, Europa und die USA – in einer beispiellosen Allianz gegen sich zu vereinen. Die strategischen Planer in Peking könnten also mit einem massiven geopolitischen Rückschlag konfrontiert werden, wenn sie die psychologische, historische und existenzielle Bedeutung Sibiriens für Rußland unterschätzen.

Ein neuer ›Eiserner Vorhang‹?

Sollte sich ein solches Bündnis zwischen Rußland und dem Westen tatsächlich formieren, könnte es zur Bildung eines neuen geopolitischen Blocks kommen – nicht entlang ideologischer Trennlinien wie im ›Kalten Krieg‹, sondern als pragmatisches Verteidigungsbündnis gegen einen gemeinsamen Expansionsgegner. Der neue „Eiserne Vorhang“ würde dann nicht Europa spalten, sondern sich entlang der Grenzen Chinas ziehen – mit einem vereinten Russland und Westen auf der einen Seite.

Diese Entwicklung würde auch weitreichende Folgen für andere Regionen haben: Indien könnte gestärkt aus dem chinesischen Machtverlust hervorgehen, zentralasiatische Republiken würden sich von der chinesischen Einflußnahme lösen, und ostasiatische Staaten wie Japan und Südkorea könnten sich sicherer fühlen – im Wissen, daß eine Großmachtkoalition bereit ist, chinesischer Expansion aktiv entgegenzutreten.

Ein unwahrscheinliches, aber bedeutsames Szenario

So unwahrscheinlich eine chinesische Invasion in Sibirien momentan auch erscheinen mag – sie bietet einen wertvollen gedanklichen Rahmen, um bestehende geopolitische Annahmen zu hinterfragen. Der Schlüsselgedanke: Die gegenwärtigen Allianzen sind weniger durch tiefe ideologische Überzeugungen als durch pragmatische Notwendigkeiten geprägt – und diese können sich unter existenziellem Druck rasch verändern.

China könnte durch eine solche Aggression nicht nur einen Krieg auslösen, sondern auch ein geopolitisches Gegengewicht ins Leben rufen, das weit stabiler und einflußreicher wäre als jedes einzelne seiner gegenwärtigen Rivalen. In seinem Versuch, die eigene Sicherheit und Energieversorgung zu sichern, könnte Peking paradoxerweise genau jene Allianz schaffen, die seine Ambitionen langfristig verhindert.

Im Schatten einer möglichen Invasion wird also deutlich: Der wahre geopolitische Bruchpunkt liegt nicht in der Ukraine oder Taiwan, sondern vielleicht viel weiter nördlich – in den endlosen Weiten Sibiriens. Dort, wo China versucht, sich Ressourcen einzuverleiben, könnte es letztlich die Grundlage für seinen eigenen strategischen Rückschlag legen – und eine neue Weltordnung in Gang setzen, die auf einer wiedervereinten euro-atlantisch-russischen Achse beruht.

 

Alexander Raynor

Quelle: https://www.arktosjournal.com/p/will-russia-join-the-west-against-china

Solidarität mit dem „weißen Amerika“?