
Peimann Salehi
Das Versprechen und der Verrat des Liberalismus
Der Liberalismus, einst als die endgültige Evolution menschlicher politischer Organisation gepriesen, versprach Freiheit, Würde und Wohlstand für alle. Hervorgegangen aus der Aufklärung und Werten wie individuelle Rechte, Demokratie und freie Märkte hochhaltend, beanspruchte er moralische Überlegenheit über alle anderen Ideologien.
Doch heute erleben wir den Zusammenbruch dieser Versprechungen. Die liberale Ordnung ist zu einem Herrschaftsapparat verkommen, der im Namen des Friedens Kriege führt, Sanktionen verhängt, die Nationen ersticken, und einen als „universelle Werte“ getarnten kulturellen Nihilismus exportiert.
Der Verrat ist tiefgreifend: Die Zivilisation selbst, die sich als Verteidiger der menschlichen Würde ausrief, tritt diese nun mit Füßen, um die globale Hegemonie aufrechtzuerhalten.
1: Der ethische Bankrott des Liberalismus
Überall auf der Welt werden die moralischen Widersprüche des Liberalismus bloßgelegt. Unter den Bannern der „Menschenrechte“ und der „Freiheit“ haben liberale Mächte verheerende Kriege geführt: Irak, Afghanistan, Libyen. Sanktionsregime gegen Iran, Venezuela und Syrien haben zu unermeßlichem Leid unter der Zivilistbevölkerung geführt. Anstatt Frieden zu fördern, hat der Liberalismus den Zwang institutionalisiert.
Intern steht der liberale Westen vor seinem eigenen Verfall. Ungleichheit erreicht historische Höchststände; das Vertrauen in demokratische Institutionen bricht zusammen. Der Aufstieg von Überwachungsstaaten, Zensur unter dem Deckmantel der „Kontrolle von Desinformation“ und wachsende soziale Atomisierung zeugen alle von einem System, das nicht mehr in der Lage ist, seinen eigenen Idealen gerecht zu werden.
Philosophisch gesehen hat sich der Anspruch des Liberalismus auf Universalismus als Maske für westlichen Partikularismus entpuppt. Seine Institutionen – die UN, der IWF und die Weltbank – dienen nicht der Menschheit, sondern den etablierten Interessen einer atlantistischen Oligarchie. Durch Auflagen für die Kreditvergabe und die Durchsetzung einer Sparpolitik haben diese Institutionen die Ungleichheit und die politische Abhängigkeit im Globalen Süden oftmals eher verstärkt, als daß sie eine echte Entwicklung gefördert hätten.
2: Der Widerstand der Zivilisationsstaaten wächst
Als Reaktion darauf erhebt sich eine globale Welle des zivilisationsstaatlichen Widerstands. Dies ist nicht bloßer Nationalismus; es ist eine tiefere Bekräftigung unterschiedlicher Seinsweisen, alternativer Arten des Erlebens und der Organisation von Gesellschaften.
Im Iran bekräftigt die Islamische Republik weiterhin ein islamisches Modell der Regierungsführung, das in spiritueller Souveränität verwurzelt ist. Rußland bekennt sich unter dem gemeinsamenNenner des ›Eurasismus‹ zu seiner orthodoxen und zivilisatorischen Identität.
Chinas konfuzianischer Sozialismus bietet eine Synthese aus Tradition und Modernisierung außerhalb westlicher Paradigmen. Derweil erlebt Lateinamerika eine Renaissance der bolivarischen Solidarität, und Afrika findet allmählich zu seinen indigenen Epistemologien zurück.
„Zivilisatorischer Widerstand“ ist keine Rückkehr zum Isolationismus; es ist ein Beharren auf Multipolarität – auf dem Recht der verschiedenen Kulturen, die „Moderne” nach ihren eigenen Begriffen zu definieren.
3: Auf dem Weg zu einer multipolaren Welt
Der unipolare Moment ist vorbei. Die entstehende globale Ordnung ist inhärent multipolar und wird von verschiedenen zivilisatorischen Akteuren gestaltet. Während der Liberalismus kulturelle Besonderheiten zugunsten der Homogenisierung auslöschen wollte, gehört die Zukunft der Pluralität der Zivilisationen.
Irans strategische Partnerschaften mit Rußland und China, die BRICS-Erweiterung und die wachsende Süd-Süd-Kooperation zeigen, daß Widerstand nicht nur defensiv ist. Er ist konstruktiv – ein kreatives Unterfangen, um ein alternatives internationales System aufzubauen, das auf Respekt und nicht auf Beherrschung basiert.
Diese Zivilisationen, verwurzelt in dauerhaften spirituellen und kulturellen Traditionen, besitzen eine Widerstandsfähigkeit, die der liberalen Moderne mit ihrem flüchtigen konsumorientierten Ethos zunehmend fehlt.
Der westliche Liberalismus, der sich mit Bevölkerungsrückgang, moralischer Erschöpfung und strategischer Überdehnung konfrontiert sieht, ist schlecht gerüstet, um diesen Trend umzukehren. Das Zentrum kann sich nicht mehr halten.
Schlußfolgerung: Das Ende eines Imperialismus, die Geburt von Zivilisationsstaaten
Der moralische Zusammenbruch des Liberalismus markiert nicht nur einen politischen Wandel, sondern einen zivilisatorischen Wendepunkt. Während die westliche Hegemonie ins Wanken gerät, bietet sich die Gelegenheit, eine gerechtere, vielfältigere und spirituellere Welt zu schmieden.
Zivilisatorischer Widerstand ist nicht aus Haß geboren, sondern aus Liebe – Liebe zur Tradition, zur Identität, zu einer Zukunft, in der die Menschheit nicht auf wirtschaftliche Einheiten reduziert, sondern als Träger transzendenter Bedeutung geehrt wird.
In dieser neuen Ära verblaßt das Zeitalter des Imperiums. Das Zeitalter der Zivilisationen bricht an.
An der Schwelle zum Zeitalter der Zivilisationen muß der Dialog zwischen den Kulturen den Monolog einer bröckelnden Zivilisation ersetzen.