Prof. Dr. Otto Huth

 

In den langen Nächten des Winters feierten die Germanen einst das Hauptfest des Jahres: das Wintersonnenwende-Neujahrsfest. Wesentliche Bräuche dieses germanischen Festtages leben heute noch in unserem Weihnachtsfest und den übrigen Festtagen der Mittwinterzeit, den Zwölf Heiligen Nächten fort. Allerdings hat sich auch mancher Wandel vollzogen. Manches ist nur noch in Resten erhalten, die erst verständlich werden, wenn man die ursprünglichen volleren Formen kennt. Da ist z. B. sehr auffällig, daß die Sonnwendfeuer, die im Mittsommer eine so große Rolle spielen, im Winter aus älterer Zeit kaum bezeugt sind. Daß sie einst auch im Mittwinter üblich waren, kann nicht zweifelhaft sein; schon die Verbreitung und das große Alter der Sommersonnwendfeuer weisen darauf hin, daß auch in der Wintersonnenwende entsprechende Feuer abgebrannt wurden.

Die beiden Festtage oder besser Festzeiten des Mittsommers und des Mittwinters zeigen sehr viele Übereinstimmungen. Man hat auch längst erkannt, daß diese Sonnwendfeuer das heilige Feuer der Sonne darstellen, das zu diesen Festzeiten auf die Erde herab geholt wird, und allen Leben, Fruchtbarkeit und Freude mitteilt. Man muß diese Feuer im Mittwinter noch viel mehr erwarten als im Sommer, denn nach altem germanischen Glauben stirbt die Sonne im Winter und wird neu geboren. Wenn man also heute die Sonnwendfeuer auch im Mittwinter wieder abbrennt, so darf man überzeugt sein, einen alten Brauch wieder aufgenommen zu haben.

Daß die winterlichen Sonnwendfeuer aus den früheren Jahrhunderten wenig bezeugt sind, muß einen besonderen Grund haben. Sie sind wohl tatsächlich schon frühzeitig weithin außer Brauch gekommen, und zwar deshalb, weil sie besonders stark bekämpft wurden als Überbleibsel eines alten, wie man sagt, heidnischen Kultes. Die winterlichen Sonnwendfeuer dürften also im deutschen Volksbrauch deshalb so stark in den Hintergrund treten, weil sie im germanischen Altertum einst noch bedeutendere Stellung einnahmen als die übrigen Jahresfeuer und auch das mit ihm nächst verwandte Sonnwendfeuer des Mittsommers.

Daß die Dinge tatsächlich so liegen, ergibt sich aus anderen Volksüberlieferungen. Heute fast ganz in Vergessenheit geraten ist der Brauch des Weihnachtsklotzes, der noch im vorigen Jahrhundert in verschiedenen Gegenden Deutschlands lebendig war. Ein mächtiger Wurzelstock einer Eiche oder Buche wurde feierlich am Weihnachtsabend ins Haus eingeführt und ans Herdfeuer gelegt. Er blieb bis zum nächsten Weihnachtsfest dort; denn nur bei besonderen Gelegenheiten schob man ihn näher ins Feuer, so daß er das ganze Jahr über reichte. Seine letzten Reste wurden dann am Weihnachtsfest auf die Acker gebracht, denen sie, wie man glaubte, reichen Segen sicherten. Dieser Weihnachtsklotz ist das sichtbare Bild der jährlichen Dauer des Herdfeuers.

Nach ursprünglicher Anschauung ist Ewigkeit keine unendliche Dauer, sondern immer wiederkehrende Erneuerung. So wurde auch das heilige Feuer, das schon in alter Zeit ›ewiges Feuer‹ heißt, einmal im Jahr, und zwar eben zur Wintersonnenwende, gelöscht und feierlich neu entzündet. Mit dieser Erneuerung des ewigen Herdfeuers steht der Weihnachtsblockbrauch in engem Zusammenhang. Er wurde in das neuentzündete Feuer gelegt, das als göttliches Feuer galt. Die verjüngte Flamme des Hauses leuchtete am Mittwintertag als ein Zeichen der wiedergeborenen Sonne, und mit dem neuen Feuer kehrten segenbringende Geister in das Haus ein. Man ließ in der Nacht das Licht hell brennen und stellte Speise und Trank auf den Tisch; denn in diesen heiligen Nächten kehrten auch die Seelen der Verstorbenen bei den Lebenden ein und wurden gastlich aufgenommen.

Sie bringen das Glück und verbürgen dem Hause das Gedeihen im kommenden Jahr. Um diesen göttlichen Ahnenseelen die Wohnung würdig zu machen, räucherte man in den Häusern mit den alten seit Urzeiten überkommenen volkstümlichen Räuchermitteln, nämlich mit Wacholderbeeren und Baumharzen. Der Hausvater selbst trug die Glutpfanne, auf die das Harz, die Wacholderbeeren und mitunter auch Kräuter gelegt wurden, gefolgt von sämtlichen Mitgliedern der Hausgemeinschaft, durch alle Räume — auch die Ställe — und durchräucherte sie. In Tirol wurde bei diesen Räucherungen vom Hausvater stets der Spruch hergesagt: „Glück ins Haus, Unglück hinaus!“

Verschiedene deutsche Volksüberlieferungen gestatten uns noch etwas Genaueres darüber auszusagen, wie einst im Mittwinter das neue heilige Sonnenfeuer hergestellt wurde, mit dem die gelöschten Herdfeuer neu entzündet wurden. Es geschah dies auf die altertümliche Art des Reibens von Holz, und zwar wurde entweder ein Pfahl in der Nabe eines Wagenrades gequirlt oder mit Hilfe eines Seiles ein Stab gedreht, der zwischen zwei in den Boden gerammten Eichenpfählen oder in horizontaler Lage eingespannt wurde. Dieses Holzfeuerzeug mußte von zwei Burschen bedient werden, die die gleichen Namen hatten oder Brüder waren. All dies ergibt sich aus dem sogenannten Rotfeuerbrauch, der Rückschlüsse auf die Wintersonnenwende erlaubt.

Das Rotfeuer, d. h. Reibefeuer, ist nichts anderes als die aus einem besonderen Anlaß wiederholte wintersonnenwendliche Herderneuerung. Es wurde in einigen Gegenden nachträglich wieder auf einen bestimmten Jahreszeitpunkt festgelegt, und zwar meist auf die Sommersonnenwende. Im allgemeinen wurde es aber nur aus einem besonderen Anlaß – meist wegen einer Viehseuche — veranstaltet. Es kann nur neu gerieben werden, wenn zuvor im ganzen Dorf jedes Feuer und jedes Licht gelöscht war.

Jeder Hausstand mußte Holz für den Scheiterhaufen geben, der in der Nähe des Dorfes, meist in einem Hohlweg, aufgeschichtet wurde. War dann das neue Feuer mit dem Holzfeuerzeug hergestellt, mit Zunder hatte man den entstandenen Funken aufgefangen, ihn durch Schwenken in der Luft entzündet und steckte nun den Scheiterhaufen mit diesem in Brand. Durch die Flammen trieb man, sobald sie etwas niedergebrannt waren, das Vieh hindurch, um es von der Seuche zu heilen. Später nimmt jeder ein brennendes Scheit von dem Scheiterhaufen mit heim und zündet seinen Herd damit wieder an.

Auch das wintersonnenwendliche Feuer ist ein Reibefeuer gewesen; und aus der engen Beziehung des späteren sogenannten Rotfeuerbrauches zum alten Sonnwendfeuer ergibt sich, daß am germanischen Wintersonnenwendefest ehemals das heilige neue Feuer durch zwei Brüder entzündet werden mußte. Da das winterliche Sonnwendfest das Hauptfest des Jahres und das Erzeugen des neuen Feuers eine kultische Handlung war, ergibt sich weiter, daß das Amt des Neufeuerreibens Brüdern aus königlichem Geschlecht zugekommen sein wird. Es ist nun sehr bedeutsam, daß uns mehrfach von Brüderfürsten als Anführern germanischer Stämme berichtet wird.

Diese beiden Stammesführer müssen als Abbilder und Vertreter der göttlichen Zwillinge gegolten haben, die wir als germanische Gottheiten kennen. So ist uns für vandalische Stämme die Zwieführung bezeugt, und wir wissen andererseits, daß die Vandalen die Zwillingsgötter verehrten. Nach Tacitus heißen diese Zwillingsgötter bei den Naharwalen, einem Vandalenstamm, Alken, d. h. Schützer.

In der langobardischen Stammessage erscheinen die Vandalen* unter der Führung der Brüder Ambri und Assi, d. h. Pflock und Holzstock. Diese Namen sind nahe verwandt mit denen der ersten Menschen im eddischen Mythos, Ask und Embla, die als die beiden Hölzer aufgefaßt werden, die zum Reiben des heiligen Feuers verwandt wurden. Auch Anführer anderer germanischer Stämme haben ähnliche merkwürdige Namen, die Holz und Pflock oder ähnliches bedeuten. Man hat diese Namen auf die beiden Balken des Holzfeuerzeuges bezogen. Aus diesen Überlieferungen kann man entnehmen, daß das heilige Feuer eines Stammes, das am Wintersonnenwendefest feierlich neu erzeugt wurde, von zwei Brüdern aus königlichem Geblüt bereitet werden mußte, die priesterliche Funktionen hatten.

Wie sehr diese alten germanischen Glaubensvorstellungen bis zur Gegenwart noch fortwirkten, ergibt sich auch aus Sinnbildern unserer Bauernhäuser. Als Giebelzeichen finden wir sehr häufig zwei Pferde oder auch zwei Schwäne. Die beiden Pferde kehren auch im Hause wieder als Schmuck des Herdrahmens, eines Balkengerüstes, das über dem Herde angebracht ist und den Kesselhaken trägt. Im Schleswig-Holsteinischen heißen diese Giebelpferde Hengist und Hors. Sie haben hier denselben Namen wie in der englischen Sage die Anführer der Angelsachsen, die diese aus ihrer schleswig-holsteinischen Heimat nach England führten.

Andererseits aber wissen wir, daß die Zwillingsgötter auch als Schimmel oder Schwan vorgestellt wurden. Die Giebelzeichen gelten heute noch als schutzbringend. Auch die Pferdeköpfe des Herdrahmens sind ursprünglich wohl Bilder der schützenden Zwillingsgötter. Hengist und Hors wachen über das ewige Feuer des Herdes, das sie entzündet haben. Man versteht diese an das Herdfeuer anschließenden Bräuche nur richtig, wenn man bedenkt, daß nach ursprünglicher Anschauung derjenige, der diese Kulthandlung ausführt, der großen heiligen Ordnung der Welt folgt, in die auch der Mensch hinein geboren ist und die er beachten muß, soll sein Werk den Segen der Gottheit haben.

Nur wenn man den Ursinn der Wintersonnenwende bedenkt, wird man die vielfältigen Bräuche und Sagen, die sich gerade an dieses Fest anschließen, verstehen. Es ist die Zeit, in der die Weltordnung aufs neue aufgerichtet wird und gegen alles Zerstörerische neue Kraft erhält. Das Schicksal des kommenden Jahres entscheidet sich nach altem Volksglauben in dieser Zeit. Der Ablauf des neuen Jahres ist im Geschehen der Festtage vorweggenommen; daraus erklärt sich der zunächst merkwürdig erscheinende Volksglauben, daß in dem Wetter der Zwölf Heiligen Nächte sich das Wetter der kommenden zwölf Monate anzeigt. Daher auch die vielfältigen Arten, in dieser Zeit des Mittwinters das Schicksal neu zu befragen. Das Kommende meldet sich an und der Aufgeschlossene vermag einen Blick in die Zukunft zu tun. Sehr altertümlich ist auch der Brauch, in dieser Zeit heilige Gelübde zu leisten. Das Gelübde, mit dem man z. B. eine Tat im kommenden Jahr auszuführen beschwört, in dieser Stunde gesprochen, verpflichtet nicht nur den Sprecher, sondern auch das Schicksal, das ihm nun helfen wird.

Weihnachten ist das Hauptfest des volkstümlichen Jahres, und darin erkennen wir altes Erbe aus germanischer Zeit. Uber den Kreis der winterlichen Festtage hinaus ist das alte germanische Hauptfest wirksam gewesen. Es wurde vorbildlich auch für andere Jahresfeste, und seine Sinnbilder kehren daher auch zu anderen Zeiten wieder. Wenn wir alle diese zerstreuten Überlieferungen wieder zusammenfügen, erhalten wir ein klares Bild von den alten Festbräuchen dieser Zeit und können dann auch Einzelzüge, die aus dem einstigen Ganzen sich herauslösen und für sich betrachtet nicht mehr verständlich sind, wieder in den richtigen Zusammenhang einfügen. Es ergibt sich dann, daß wie bei der sommerlichen Sonnwendfeier auch bei der winterlichen — das heilige Feuer als Abbild des göttlichen Sonnenfeuers im Mittelpunkt des Festes stand. ◊

 

* Es sei hier ausdrücklich erwähnt, daß die allen urkundlichen Quellen widersprechende, erst 200 Jahre alte Propagandalüge vom ›Vandalismus‹ als gewissermaßen arteigenem germanischen Zerstörungstrieb einzig und allein durch die Gleichgültigkeit der Germanisten Bestand haben und sogar in Lexika und Wörterbücher Einzug halten konnte, wenn wir aber Chaotentum und Straßenterror meinen, sollten wir auch diese Begriffe verwenden! (Anm. der Redaktion)

Siehe auch:

Elemente der Metapolitik, Ausgabe 5, 1990, Spezialausgabe ›Wintersonnenwende‹, PDF