Arbeitskreise des ›Thule-Seminars‹

Wenn der Neblung (November), der Monat der Toten vergangen ist, beginnt sogleich die Weihnachtszeit mit ihrem tiefen, gemütbewegenden Wissen um das Wiedererwachen der Sonne aus dem Schlafe, um das Neuwerden aus dem winterlichen Tode, um die Lichtgeburt aus der herrschenden Finsternis der langen Nächte. Obwohl wir in einer sterilen Gesellschaft des übersteigerten und naturfeindlichen Konsums leben, steht in uns das indo-europäische Urerlebnis der Wiedergeburt von Licht und Leben jedesmal aus einer solchen leidenschaftlichen Tiefe auf, daß wir selbst immer wieder davon überrascht sind. Und daher empfinden wir, daß Weihnachten das größte unserer Feste im Jahreslauf ist.

Die Zeiteinteilung

Dazu muß man sich zunächst ein Bild des Ablaufes der Festzeit machen. Sie reichte früher vom 6. im Jul (Dezember), dem alten Wodanstage (Nikolaustag), bis zum 6. im Hartung (Januar), dem alten Friggatag (Hl. Drei Könige), und hatte ihren Höhepunkt zur Sonnenwende in der Nacht des 21. im Jul, wenn auf den Bergen die Feuer angezündet wurden. Wir sind an einige Änderungen gewohnt, so daß sich folgende Zeiteinteilung ergibt. Vom ersten Sonntag im Jul bis zum 24. Jul dauert die Bereitungszeit (Adventszeit), in ihr liegen die vier Julsonntage, der Wodanstag am 6. und der Sonnwendtag am 21. Nach der eigentlichen Weihnachtsnacht, am 24. im Jul, folgen die Zwölften. Das sind die zwölf Nächte und Tage, die mit dem Friggatag am 6. im Hartung enden. Für unsere Vorfahren waren die Zwölften von besonderer Feierlichkeit erfüllt. In dieser Zeit liegt der Altjahrabend und der Neujahrtag.

Der Julkranz

Julkranz

Julkranz

Für die vier Julsonntage hat sich überall ein Brauch durchgesetzt, der an älteste Vorstelllungen anknüpft: Der Julkranz (Adventskranz) wird im Zimmer aufgehängt. Er erfüllt die Wohnung mit dem ersten Fichtenduft der Weihnachtszeit, weckt mit seinen roten Bändern die Freude auf das große kommende Fest und erleuchtet schließlich mit seinen vier Kerzen das Dunkel der langen Winterabende. Der Kranz ist Gleichnis des alten Sonnenrades, und da er aus lebendigem Grün ist, erinnert er an den alten Lebensbaum, an dem er ja eigentlich hängen soll!
Der Kranz besteht aus Tannengrün, das um einen hölzernen Reifen gebunden wird. Auf dem Kranze werden vier rote Kerzen befestigt. Am Nachmittag des ersten Julsonntages entzündet man die 1. Kerze. An jedem der nächsten drei Sonntage wird ein Licht mehr entzündet: Hier wächst schon, trotz der kürzer werdenden Tage, das neue Licht heran, das später im Julfeuer und am Weihnachtsbaume in unendlicher Fülle erstrahlen soll. Es ist auch Brauch, am ersten Sonntag vier und am letzten Sonntag nur eine Kerze brennen zu lassen. Damit wird dann auf das untergehende alte Jahr verwiesen, das, in der letzten Kerze verlöschend, am Weihnachtsbaum als Neugeburt wieder erstrahlt. Nach altem Brauch werden zur Sonnenwende Feuer abgebrannt, deren erneuernde Kraft die Feiernden in der Überlieferung eigener Art verbindet. Der gemeinsame Sprung zweier Liebenden durch die Flammen des Sonnenwendfeuers gilt als gegenseitiges Versprechen.

Weihnachtsmärchen

Weihnachtszeit ist wie keine andere die Zeit des Märchenerzählens. Der Kern unserer Märchen ist Jahrtausende alt. Wer aus ihnen den tiefen Inhalt des Geschehens der Wintersonnenwende herauszulesen versteht, der macht mit seinem Erzählen nicht nur den Kindern eine Freude, sondern stärkt in sich selbst das Wissen um die Tiefe des Weihnachtsgeschehens und damit seine eigene Identität. An jedem Julsonntage kann ein neues Märchen gelesen werden: Alle handeln sie von der Wintersonnenwende und dem kommenden Frühlingsgeschehen.

1. Julsonntag: Rotkäppchen
Das Kind mit der roten Mütze (Sonne) gelangt in den finsteren Wald und wird, als es zur Mutter Erde (Großmutter) eingehen will, von einem Untier verschlungen. Der junge Jäger bringt die Befreiung und damit die Neugeburt des Jahres.

2. Julsonntag: Schneewittchen
Das königliche Kind gelangt in den tiefen Wald und wird, als es zur Erde eingehen will (Zwergenreich), von der Unholdin (Stiefmutter) getötet. Es ruht auf einem Berg in einem Glassarge (der Eiswinter) und wird von dem jungen Helden befreit und heimgeführt.

3. Julsonntag: Jungfrau Marleen
Die Königstochter wird in einen Turm gemauert (Tod der Sonne). Die Welt ist öde und leer. Der Königssohn will sie befreien. Die böse Braut (Unholdin) verhindert es. Endlich, als die richtige Zeit da ist, erkennt der junge Held die wahre Braut und führt sie heim.

4. Julsonntag: Dornröschen
Die Königstochter gelangt in den Turm der spinnenden Alten. Sie verfällt in den Todes-schlaf. Die Welt verödet, bis der junge Königssohn kommt und frei durch die Dornhecke schreitet, weil die Zeit erfüllt ist (Wintersonnenwende). Er weckt die Schlafende durch einen Kuß. Die Welt erstrahlt in neuem Glanze, der Königssohn führt die Braut heim. (Vergleiche: Sage von Sigurd und Brynhild in der Waberlohe). Im Reinhardswald bei Kassel befindet sich das legendäre Dornröschenschloß (Sababurg).

Der Wodanstag und der Julteller

Julteller aus Porzellan mit ›God Jul‹, (Porzellanfabrik Schumann Arzberg).In der Mitte Tomte oder Nisse, zwei Zwerge, beim Auslöffeln einer Schüssel mit Grießbrei.

Am 6. im Jul ist der alte Wodanstag. Früher fuhr der Gott unserer Vorfahren durch die Lüfte, kehrte in den Häusern ein und erzeigte sich den Menschen freundlich, indem er ihnen kleine Geschenke brachte. Er wollte dadurch mit der beginnenden Weihnachtszeit das neue Jahr ankündigen. Die Kirche setzte, da sie die jährliche Einkehr des guten Geisterführers mit dem weißen Barte, mit dem Einauge und dem Pelzmantel nicht hindern konnte, bald einen ihrer Heiligen, nämlich den Nikolaus an seine Stelle. Aber in vielen Gegenden Deutschlands ist er doch der Schimmelreiter oder der Ruprecht (= Hruodpercht = der von Ruhm Strahlende, Beiname Wodans) oder kurz der Weihnachtsmann geblieben.

Wenn ein Kind geboren wird, so soll es zu seiner Namensgebung einen Julteller erhalten. Das soll ein alter Zinnteller, ein Holzteller oder ein irdener Teller mit Lebensbaum und Umschrift sein. Jedes Mitglied der Familie stellt diesen Julteller mit Lichtern auf seinen Geburtstagstisch, gebraucht ihn als Gabenteller am Wodanstage, zu Weihnachten und Neujahr, stellt ihn zu Ostern für die Ostereier zurecht, läßt ihn zum Erntefest mit Äpfeln füllen und braucht ihn zur Hochzeit für Salz und Brot. Zur Todesfeier aber soll das letzte Lebenslicht auf diesem Julteller stehen.

Der Weihnachtsbaum

Der Weihnachtsbaum

In der Sonnenwendnacht bringt man einen der Bäume, die den leuchtenden Schein des Sonnenwendfeuers gesehen haben, herein in die warme Stube, setzt den Baum in das Radkreuz und schmückt ihn mit den Lichtern der Weihnacht. Da steht der immergrüne Lebensbaum und spricht von dem dunklen Wintertod des alten Jahres und der leuchtenden Neugeburt der kommenden Zeit.
Dieser Sinn soll uns auch dann bewußt bleiben, wenn wir den Baum in den Städten auf dem Weihnachtsmarkt kaufen müssen. Es soll ein schöner schlanker Baum sein, der mit seinen weit ausladenden Ästen Ernst und Feierlichkeit im Raume verbreitet. Er steht in der Jul-Ecke des Hauses. Auf das Schmücken soll sehr viel Sorgfalt verwandt werden. Man fängt nicht erst am letzten Tage mit der Vorbereitung an, so daß dann alles überstürzt wird und die nächste Drogerie zur Ergänzung des Fehlenden mit allerhand unsinnigem Krimskrams herhalten muß.
Das Radkreuz vom Julkranz wird nun zum Ständer des Baumes. An seine Spitze soll gar nichts gesteckt werden, der oberste Trieb bleibt frei. Der schönste Schmuck des Baumes sind brennende Lichter. Außer ihnen sollen die rotesten Äpfel in reicher Zahl an dünnen Drähten hineingehängt werden; denn der Apfel ist Sinnbild des schlummernden Lebens, das aus ihm einst hervorbrechen soll, und seine Farbe deutet auf die goldenrote Sonne. Sinnbilder derselben Bedeutung sind golden und silber gefärbte Nüsse. Weiter dürfen in dem Baum die zuvor gebackenen Gebild- und Spekulatiuskuchen und das Marzipanschwein, das an den Juleber erinnert, sowie das Sonnenrad nicht fehlen.

Die Weihnachtsfeier

Die Weihnachtsfeier begehen wir wie die Sonnwendfeier am Abend, nicht am Morgen. Weihnachten ist das Fest des neugeborenen Lichtes und des sich immer erneuernden Lebens. Darum ist es die Feier des Gedenkens an die Geburt des Kindes, des Wunsches für das Gedeihen der ganzen Familie. Aus diesem Anlaß beschenken wir uns zu Weihnachten. Dies ist ein Zeichen gegenseitiger Achtung für den verantwortlichen Anteil, den ein jedes teilnehmende Glied der Familie für ihr Bestehen inne hat. Darum ist in Deutschland Weihnachten ein ausgesprochenes Familienfest.
Die Geschenke werden geheimnisvoll in der Jul-Ecke unter den Weihnachtsbaum gelegt. Wenn alles hergerichtet ist, beginnt die Weihnachtsfeier mit einem besonders ausgewählten Abendessen. Es ist ein größeres Mahl, dessen Hauptgang das Karpfengericht, der Gänse-, Wildschwein- oder Hasenbraten bilden soll. Diese Tiere, aus dem Bereich des Wassers, der Luft und der Erde genommen, sind seit alters her auf dem Weihnachtstisch zu finden und sollten niemals durch andere Gerichte verdrängt werden.
Nach dem Essen zündet man den Julleuchter an, von dem die Kerzen des Baumes ihr Licht erhalten, die zu 13 (12 Monate mit dem 13. neuwerdenden) oder 27 (3 Mondwochen von 9 Tagen) aufgesteckt sind. Dabei läßt man 3 auffällig zusammenstehende Kerzen ohne Licht. Wenn die Familie versammelt ist, zündet man die letzten drei Lichter am Julleuchter an. Dann wird das Lied vom Tannenbaum angestimmt, denn ohne Lied ist dieses Fest nicht denkbar, und nun geht jeder zu seinen Geschenken.

Der Altjahrabend und der Julleuchter

Julleuchter

Dem Weihnachtsabend folgen die Zwölften mit ihren zwölf heiligen Nächten. In dieser Zeit wurde früher nicht gearbeitet. Die Tage waren die hohe Festzeit unserer Vorfahren. In ihnen zog Wodan mit dem Heere der Gestorbenen durch die Lüfte, und Frigga oder Frau Holle führte das Heer der Ungeborenen über den Häuptern der Menschen dahin.
Wir sollen in dieser Zeit, so oft es möglich ist, den Weihnachtsbaum entzünden. In der Altjahrnacht aber erreicht das Fest noch einmal seinen Höhepunkt. Noch einmal wiederholen sich die Ereignisse der Weihnacht, denn noch einmal nehmen wir Abschied vom Vergangenen und blicken hoffnungsvoll in die Zukunft. Aber der Altjahrabend trägt ein ausgesprochen fröhliches Gepräge. Die Kinder haben sich Knallfrösche besorgt und machen sich Freude auf ihre Weise. Die Mutter holt den Löffel zum Bleigießen hervor, der nur in dieser Nacht benutzt wird. Aus den krausen Figuren des im Wasser abgeschreckten Metalles will nun ein jeder die Gestalt des kommenden Schicksals ablesen. Der Altjahrpunsch zum Umtrunk duftet durchs Haus, und das Abendbrot ist wieder ein Festmahl wie am Weihnachtsabend.
Zur Mitternacht aber, wenn der Weihnachtsbaum lange erloschen ist, dann stellt man den Julleuchter auf den Tisch. Dieser Leuchter mit seiner Jahreskerze hat bei fast allen Feiern im Jahreslaufe einen Augenblick lang geleuchtet. Davon ist die Kerze in seinem Innern herabgebrannt. Heute, am Altjahrabend, soll er nun ein neues Licht erhalten. So wie bei unseren Ahnen das heilige Herdfeuer nie verlöschen durfte, so soll es auch mit unserem Leuchter sein. Er ist uns damit Sinnbild des nie verlöschenden Sonnenlichtes.

Das Gebäck

Wir backen


Seit jeher gehören zur Weihnachtszeit Kuchen in dreierlei Form:

1. als Rad- und Plattenkuchen
2. als Pfefferkuchen und Spekulatius
3. als Gebildkuchen. Das Gebäck ist also wie der Weihnachtsbaum, der Julkranz und die Lichter Ausdruck des großen Geschehens der Wendezeit.

– Der Radkuchen (Napfkuchen), mit einer Kerze in der Mitte;
– der große Plattenkuchen;
– Leb- und Pfefferkuchen (als Herz-, Stern- oder Radformen ausgestanzt);
– Spekulatiusgebäck.

Was das Spekulatiusgebäck betrifft, sind einige wenige Formen alter Herkunft allen anderen gegenüber zu bevorzugen: Der Hahn (Tagverkünder), der Eber (Juleber), der Reiter (Wodan auf seinem Hengst), der Jäger (Wodan), die Spinnerin (Frau Holle oder Frigga), der Lebensbaum und das Menschenpaar. Die Spekulatiusfiguren und die Gebildkuchen in ihren sinnvollen Gestalten sollen am Julkranz, bestimmt aber am Weihnachtsbaum wiederzufinden sein. ◊