Karl Richter
Der europäische Film ist um einen großen Star ärmer. Am Sonntag starb im Alter von 88 Jahren Alain Delon. Er war in den 50er- und 60er Jahren einer der prominentesten Akteure des europäischen Nachkriegskinos und begeisterte als Abenteurer, Ganove und Liebhaber nicht nur auf der Leinwand. Auch sein Privatleben war reich an Skandalen, Brüchen und Liebschaften.
Weniger bekannt ist, daß Delon aus seinen Sympathien für die politische „Rechte” nie ein Geheimnis gemacht hat – im Unterschied zu den meisten seiner Kollegen, die auch in Frankreich seit Jahrzehnten zum überwiegenden Teil Linke sind; Brigitte Bardot, die immer wieder ihre Solidarität mit dem früheren ›Front National‹ unter Jean-Marie Len Pen bekundet hat, und Yves Montand sind die große Ausnahme.
Spätestens seit den siebziger und achtziger Jahren unterstützte Delon konservative Akteure der französischen Politk wie Valéry Giscard d´Estaing und Raymond Barre. Bis in die letzten Jahre hinein verhehlte er seine Haltung nicht. Noch 2014 äußerte er sich im Kontext der Europawahlen kritisch über die Homo-Ehe und das Adoptionsrecht für Schwule, „weil ein Kind einen Vater und eine Mutter braucht und von einem Vater und einer Mutter erzogen werden muß“. Im Europa der Woken und Satanisten ist ein solches Bekenntnis inzwischen keine Selbstverständlichkeit mehr.
Früh wurde Delons Nähe zu Jean-Marie Le Pen bekannt. 1987 erklärte er: „Wir sind seit vielen Jahren Freunde, ich bin ein großer Sympathisant von Jean-Marie Le Pen.“ Die langjährige Freundschaft der beiden wurzelte in den gemeinsamen Erfahrungen im Indochina-Krieg. Delon hatte sich als 17jähriger nach einer erfolglosen Schullaufbahn als Freiwilliger im Indochina-Krieg gemeldet. Er überlebte die für Frankreich verhängnisvolle Schlacht von Dien Bien Phu (1954). Auf die Frage, ob dieses Erlebnis seinen Lebenslauf beeinflußt habe, gestand er noch 1995 in einem Interview: „Natürlich verdanke ich der Armee alles.“
Dem FN-Chef hielt er noch nach Jahrzehnten die Treue, als Le Pen 2018 auf Betreiben seiner Tochter Marine aus dem ›Front National‹ ausgeschlossen wurde. Delon hielt Marines Verhalten, die sich damit ihre politische Salonfähigkeit erkaufen wollte, zurecht für einen Verrat. „Ich kannte Le Pen schon, bevor er berühmt wurde, deshalb werde ich ihm auch jetzt nicht den Rücken kehren. Eine meiner unbestrittenen Tugenden ist die Loyalität gegenüber Freunden“, bekannte er
Diese Loyalität bekundete er auch einem anderen großen „Umstrittenen“ der europäischen Nachkriegszeit gegenüber – dem vormaligen wallonischen SS-Sturmbannführer Leon Degrelle (auf dem Foto links). Degrelle, der in Belgien 1945 in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden war, lebte seit dem Krieg in Spanien und besuchte Delon dort bei den Dreharbeiten zu „El Zorro“ (1975) in Aranjuez und Almería. Noch viel später verwahrte sich Delon ausdrücklich dagegen, daß ihm die Bekanntschaft Degrelles unangenehm sei. Degrelle, der in den Jahrzehnten nach Kriegsende eine Reihe Bücher veröffentlichte und sich darin zu seiner Vergangenheit bekannte, war eine beeindruckende Persönlichkeit. Ich durfte ihn selbst im November 1990 in Madrid kennenlernen.
2019 erlitt Delon einen Schlaganfall, von dem er sich nie vollständig erholte. Ein Ausspruch aus seinen letzten Jahren deutet an, daß der unvergeßliche Charakterdarsteller, der sich selbst für einen unverbesserlichen Misanthropen hielt, mit sich im Reinen war:
Ich werde diese Welt verlassen, ohne mich traurig zu fühlen. Das Leben zieht mich nicht mehr an. Ich habe alles gesehen und erlebt. Ich hasse die heutige Zeit, ich habe die Schnauze voll! Ich sehe ständig wirklich abscheuliche Kreaturen. Alles ist falsch, alles wird ersetzt. Sie lachen alle übereinander, ohne sich anzuschauen! Es gibt nicht mal Respekt vor dem gegebenen Wort. Nur Geld ist wichtig. Wir hören den ganzen Tag über Verbrechen. Ich weiß, daß ich diese Welt verlassen werde, ohne traurig darüber zu sein.
Schon früher hatte er seine Verachtung für die Linken bündig auf den Punkt gebracht:
Alle Welt weiß, daß ich die Kommunisten zutiefst verabscheue und daß ich für die Sozialisten nichts übrig habe. Kurz gesagt, ich habe für alle Linken nichts mehr übrig.
Im Film gab Delon oft den Wortkargen, den Draufgänger, den einsamen Wolf. Privat ebenso wie auf der Leinwand lebte er ein Bild von Männlichkeit, das heute als antiquiert und „toxisch“ denunziert wird – das aber angesichts der bevorstehenden Umbrüche seine Auferstehung vor sich hat. Politisch lehnte er sich, gemessen an den Maßstäben des Schauspielerberufs, weit aus dem Fenster und sagte, was zu sagen war. Er war ein Nonkonformist, ein Unbequemer, ein Patriot.
Am 18. August teilten seine Kinder der Öffentlichkeit mit, ihr Vater sei in seinem Haus in Douchy friedlich entschlafen. Nicht nur das europäische Kino – Europa selbst verliert in ihm einen Kämpfer, einen Fürsprecher des alten, echten Europa.