Pierre Krebs
Freiheit nach der ›Lust-und-Laune‹-Devise
oder Freiheit im Sinne der Selbstwerdung?
Eine zu erobernde Fähigkeit und eine Macht
Das Verständnis von Freiheit — ähnlich wie das Verständnis von Demokratie — ist mit dem, was zusammengefaßt die europäische Antike oder den allgemeinen Konsens des Indoeuropäertums ausmacht, nicht mehr identisch. Die heutige Auffassung von ›Freiheit‹ widerspricht nicht nur radikal der europäischen Grundhaltung, sie ist mit der entarteten ›Lust-und-Laune‹-Devise bedeutungsgleich geworden und führt somit… zur Unfreiheit.
Denn frei zu sein bedeutet primär nicht nur, frei zu handeln, sondern gleichzeitig für das, was man tut, Verantwortung zu übernehmen. Wahre Freiheit im indoeuropäischen Sinn widerspricht der Maßlosigkeit wie der Zügellosigkeit des entwurzelten und egalitären Individualismus der heutigen westlichen Gesellschaften, denn sie orientiert sich am Wohl der Gemeinschaft — oder besser, sie handelt gemeinschaftlich und weiß sich selbst Grenzen zu setzen. Es sei hier erlaubt, von einer ›organischen Demokratie‹ zu sprechen.
Freiheit bedeutet weder Zwanglosigkeit noch Ausschweifung und ebensowenig Lässigkeit oder Unstetigkeit. »Nennst du Freiheit das Recht, im Leeren umherzuirren?« fragt der große Kaid. »Sobald der Zwang eines Weges gegründet wurde, steigert sich zugleich deine Freiheit« (Saint-Exupéry).
Freiheit ist ein aufstrebender Wert, und kein erschlaffender Genuß. Sie zielt auf Bestärkung des Handlungsvermögens, aber genauso auf eine Höherentwicklung. Und sie ist vor allem zuerst eine zu erlangende Fertigkeit: Nietzsche weiß es am besten. Er bringt uns in Erinnerung, daß die aristokratischen Gesellschaftsformen (z. B. Rom oder Venedig) »jene großen Treibhäuser (waren) für starke, für die stärkste Art Mensch, die es bisher gegeben hat (…) Freiheit genau in dem Sinne (verstanden), wie ich das Wort Freiheit verstehe, als etwas, das man hat und nicht hat, das man will , das man erobert…«. Man ist nicht frei, man wird es.
Als Gestaltung einer Macht setzt Freiheit zunächst Disziplin voraus. Saint-Exupéry äußert sich in diesem Sinne: »Wenn man aus dir einen Menschen gemacht hat, ist die Freiheit der Lohn dieses Menschen, der über ein Reich gebietet, in dem er sich betätigen kann. Und die Voraussetzungen der Freiheit sind Krieg, Zwang und Ausdauer«.
Freiheit wird nicht bar bezahlt, sie muß verdient werden. Saint-Exupéry greift öfter auf den Zwangsbegriff zurück, der der Freiheit zu einer ordnenden Macht verhilft: »Ich habe nie verstanden, weshalb man den Zwang von der Freiheit unterscheidet. Je mehr Straßen ich ziehe, um so freier bist du in deiner Wahl. Aber jede Straße ist ein Zwang, denn ich habe sie mit Schranken eingefaßt«.
Der Zwang ist im Sinne Saint-Exupérys eine Prägeunterlage für Ordnung und Identität, er verbindet Kraft und Gewissen. Also ist »allein der Zwang (…) gültig, der dich dem Tempel unterwirft gemäß deiner Bedeutung, denn die Steine sind nicht frei, dorthin zu gehen, wohin es ihnen beliebt, oder es gibt dann nichts, dem sie Bedeutung verleihen und wovon sie Bedeutung empfangen könnten«.
Der Zwang prägt somit das Recht, Freiheit zu gebrauchen. In diesem Denkschema wird Freiheit allerdings nirgends zu einem Recht, das auf Kosten eines anderen gehandhabt wird. Saint-Exupéry ist um eine Rechtfertigung bemüht: »So besteht auch meine Freiheit nur im Gebrauch der Früchte, die mein Zwang hervorbrachte, denn er allein besitzt die Macht, etwas zu begründen, das wert ist, befreit zu werden«.
Freiheit ist schließlich auch Standhaftigkeit, wenn sie den Menschen vor niederträchtigen Handlungen bewahrt. Den Menschen nennt Saint-Exupéry dann frei, wenn er »den niedrigen Trieben widersteht (…), denn ich kann den nicht für frei halten, der sich zum Sklaven einer jeden Aufforderung macht«, selbst wenn »die Freiheit, Sklave zu werden«, gemeinhin auch als Freiheit hingestellt wird.
Der Regenbogen der Freiheiten
Die Ausübung von Freiheit authentifiziert den verwirklichten Menschen (den Menschen als Person), da sie ihn vom potentiellen Menschen löst (dem Menschen als Individuum). Demnach kann Freiheit als Trennungsakt zwischen der anorganischen Welt (das Individuum erduldet) und der organischen (der Mensch wird schöpferisch) angesehen werden. Saint-Exupérys Konzeption hat hervorgehoben, daß Freiheit weder chaotische Verstreuung, noch ausschweifende Handlungsweise, noch bedachtlose Machtentfaltung heißt: Sein Freiheitsbegriff bedeutet einen Machtzuwachs innerhalb einer streng gelenkten Ordnung. Wir müssen zudem einsehen, daß Freiheit auch nicht auf einen Standardbegriff zurückführbar ist. Freiheit ist ein vielfacher Begriff, ebenso verschiedenartig wie die Menschen selbst. Die Freiheit, zu entscheiden und höher zu streben, wird immer neben derjenigen existieren, sich bis zur Selbstauflösung auszugleichen, die organische Freiheit zur Ich-Differenzierung wird immer neben der anorganischen Freiheit des Egalitarismus existieren.
Ein jeder verfügt über die Freiheit, die ihm zukommt‹,
oder über ›die Größe, die seinem Verantwortungsgefühl entspricht.
Freiheitsausübung ist eine grundsätzlich persönliche Handlung: Sie ist im Grunde genommen das Recht darauf, anders zu sein. Deshalb können wir nicht von der Freiheit der Masse sprechen: »Es kamen also die Zeiten, in denen die Freiheit nicht mehr die Freiheit menschlicher Schönheit, sondern Ausdruck der Masse war, in der sich der Mensch notwendig aufgelöst hatte, und diese Masse war nicht frei, denn ihr eignet keine Richtung, sondern sie lastet lediglich und verharrt auf ihrem Platze« (Saint-Exupéry).
Die Freiheit kommt in der Entscheidung auf, die in eine bestimmte Richtung lenkt, d.h. zu einer Bewegung und daher zu einem Engagement hinüberleitet. Sie stellt tatsächlich die Ausübung einer differenzierten Macht dar. Aufgrund dessen behauptet Evola, daß ein jeder über »die Freiheit« verfügt, »die ihm gebührt«, je nach seiner Natur und seinem Personalisierungsgrad, wobei »die Gerechtigkeit darin besteht«, jedem »ein verschiedenes Recht und eine verschiedene Freiheit zuzuerkennen«.
Der Mensch ist nach Nietzsche, Saint-Exupéry und Evola dann frei, wenn er eines ihn verpflichtenden Entscheidungsaktes fähig ist, dessen Verantwortung er übernimmt. In seinem Roman Wind, Sand und Sterne sagt Saint-Exupéry über den Piloten Guillaumet: »Seine besondere Größe (…) fließt aus seinem Verantwortungsgefühl«. Diese Ansicht wird ein paar Zeilen später bekräftigt: »Mensch sein heißt Verantwortung fühlen«. Für Saint-Exupéry bedeutet Verantwortungsgefühl ebenfalls Pflichtgefühl. Der freie Mensch erfüllt die Pflicht, weil der freie Mensch (der souveräne Mensch im Sinne Nietzsches) seine Versprechungen einlöst; er verwirklicht, was er ankündigt.
Nietzsche vertritt den Standpunkt, daß das Verantwortungsgefühl beim freien (sprich: starken) Menschen der innerste Instinkt, d. h. das Gewissen sei: »Das stolze Wissen um das außerordentliche Privilegium der Verantwortlichkeit, das Bewußtsein dieser seltenen Freiheit, dieser Macht über sich und das Geschick, hat sich bei ihm bis in seine unterste Tiefe hinabgesenkt und ist zum Instinkt geworden, zum dominierenden Instinkt — wie wird er ihn heißen, diesen dominierenden Instinkt, gesetzt, daß er ein Wort dafür bei sich nötig hat? Aber es ist kein Zweifel: dieser souveräne Mensch heißt ihn sein Gewissen…«.
Das Freisein schließt demnach die Folgen der Tat ein, die man selbst ausgewählt, beschlossen und vollzogen hat. Die Ausübung der Freiheit kommt also der Ausübung einer Kompetenz, einer Fertigkeit — einer Macht gleich. Das Waltenlassen einer Kompetenz führt wiederum zu einer Hierarchisation (Abstufung). Somit mündet die in gesellschaftlicher Praxis angewandte Freiheit in die Selektion — und führt nicht zur Gleichmachung der Gleichheitslehre:
Wo es Gleichheit gibt, kann es keine Freiheit geben. Bestehen wird dann nicht die reine Freiheit, sondern die vielen einzelnen gezähmten und mechanisierten Freiheiten in einer gegenseitigen Beschränkung.
Handlung. Kompetenz. Verantwortung. Macht. Zu unserer Definition des Freiheitsbegriffs gehört nur noch der Wille als eigentlicher Motor des freien Aktes. Nietzsche setzt den freien Akt in Verbindung mit dem Willensakt, der Anschluß des Willens an die Freiheit führt letzten Endes zur Selektion:
Der ›freie‹ Mensch, der Inhaber eines langen, unzerbrechlichen Willens, hat in diesem Besitz auch sein Wertmaß.
Der engagierte Mensch und der sich fügende Mensch
Der freie Akt setzt, wie schon gesagt, ein fortgeschrittenes Stadium des Person-Menschen voraus. Der freie Akt demonstriert die Person-Behauptung im Menschen. Nietzsche sagt: »Was ist das Siegel der erreichten Freiheit? — Sich nicht mehr vor sich selber schämen«.
Bei den Existentialisten um Sartre dagegen stellt die Freiheit insofern eine Verurteilung dar, als der Mensch sein Leben lang dazu verurteilt wird, eine Wahl zu treffen. In Sartres Philosophie läßt der Mensch die Freiheit über sich ergehen. Er verwaltet sie nicht, wie Evola, Saint-Exupéry und Nietzsche es befürworten; für sie setzt der freie Akt das Hauptprinzip der Verantwortlichkeit voraus, aus welchem sich unweigerlich der Begriff der Forderung ergibt.
Zusammengefaßt: Der Willensakt schafft den freien Akt. Der freie Akt führt zur Verantwortung. Die Verantwortung setzt eine Entscheidung und einen Anspruch voraus. Und allein dieser Anspruch, diese an sich selbst gestellte Forderung gibt das Maß dessen an, was man von den anderen fordern kann oder darf. Die Forderung sich selbst gegenüber legitimiert die an die anderen gestellten Forderungen.
Für Saint-Exupéry ist Forderung nicht mehr ein Begriff, sondern auch ein Gesetz: »Der Wert der Kultur meines Reiches beruht nicht auf der Güte der Nahrung, sondern auf der Höhe der gestellten Forderungen«. An anderer Stelle beteuert er: »Eine Kultur beruht auf dem, was von den Menschen gefordert wird, und nicht auf dem, was sie geliefert erhalten«. Die Forderung ist sogar eine Voraussetzung zum Glück:
Seht doch, Mermoz, die Freude der Menschen, wenn viel von ihnen verlangt wird.
Die Aristokratie — darunter verstehen wir den menschlichen Willen zur Selbst-Überwindung — ist eine Schule mit hohen Ansprüchen. Nietzsche erklärt in diesem Zusammenhang, daß »der vornehme Mensch in sich den Mächtigen (ehrt), auch den, welcher Macht über sich selbst hat, der zu reden und zu schweigen versteht, der mit Lust Strenge und Härte gegen sich übt und Ehrerbietung vor allem Strengen und Harten hat. ›Ein hartes Herz legte Wotan mir in die Brust‹, heißt es in einer alten skandi-navischen Saga: So ist es aus der Seele eines stolzen Wikingers heraus mit Recht gedichtet«.
Die Aristokratie des Geistes entspricht dem, was man in der Antike die virtus nannte. Die virtus war aber die Quelle der Freiheit des selbstbewußten, selbstbeherrschten Menschen. »Freiheit (libertas) im indogermanischen Sinne ist nur dort möglich, wo ein Volk nach dem Werte der virtus strebt, also der Würde des kraftvollen ›aufrechten Einzelmenschen‹ « weisen die Indogermanisten nach.
Die überhaupt in Betracht kommende, sich durchsetzende Freiheit muß also die Schule der Aristokratie besucht haben. Umgekehrt stellt sich die verdorbene homokratische Demokratie des Menschismus — im radikalen Gegensatz zu der organisch-völkischen Urdemokratie — als eine Demoralisierungsschule edler Herzen heraus (Mahnert).
Sie spricht die Massen an mit der Sprache, »die sie nunmehr allein verstehen, und das bedingt ihre Hauptinteressen, die natürlich die gröbsten, materiellsten und illusorischsten sind, in den Vordergrund zu rücken, indem man immer verspricht und niemals etwas verlangt« (Evola). Deshalb ist »jede Demokratie in ihrem eigenen Prinzip eine Schule der Immoralität, eine Beleidigung der Würde und der inneren Haltung, wie sie sich für eine politische Klasse ziemen«.
Die egalitäre Demokratie entwickelt Strukturen, die eine gewisse Erschlaffung begünstigen, zur Verwirrung ermuntern und das Gleichgültige legitimieren. Unter dem Deckmantel der Freiheit wird die Verantwortungslosigkeit als maßgebendes Symptom einer dekadenten Epoche gefördert. Nietzsche macht uns auf den Umstand aufmerksam, daß »der Anspruch auf Unabhängigkeit, auf freie Entwicklung, auf laisser aller« gerade von denen am hitzigsten geltend gemacht (wird), »für die kein Zügel zu streng wäre«; darin erkennen wir, daß »unser moderner Begriff ›Freiheit‹ (…) ein Beweis mehr von Instinkt-Entartung« ist. Die Freiheit der egalitären Demokratie ist im Grunde eine verkommene.
Die Gleichheitslehre — wie wir es bereits unterstrichen haben — mündet zwangsläufig in Willkür und Totalitarismus. »Die liberale Gesellschaftsordnung, die damit prahlt, vom Freiheitsbegriff beseelt zu sein, führt letzten Endes zu einem Regime der Gewalt, da sie im Konkreten der Mehrheit dient, die in einem liberalen und demokratischen Regime ja die Regierung stellt, während sich die Minderheit, obwohl sie aus ›freien Individuen‹ besteht, beugen und gehorchen muß«.
Im Rahmen einer organischen Staatsform dagegen kann niemandem Gewalt angetan werden, da nicht die abstrakten Begriffe der Mehrheit die ›Menschheit‹ strukturieren, sondern eine die menschlichen Wirklichkeiten berücksichtigende Hierarchie als organische Gestaltungsform. Die Fertigkeiten unterstehen Qualitäts- und Fähigkeitskriterien, die den freien Akt innerhalb der personenbezogenen Verantwortlichkeitssphäre fördern.
Fazit: Die Differenzierungslehre determiniert die Freiheit des Menschen in bezug auf seine Würde — die der Mensch auf jeder Stufe seiner Persönlichkeitswerdung verwirklicht —, und sie legitimiert gleichzeitig seine Rechte in bezug auf seine Verantwortungsaufgaben — denen der Mensch durch den Willensakt seiner Entscheidungen gerecht wird.