Jonathan Cook

 

Von der Lobbyarbeit für Kampfflugzeuge bis hin zur Lieferung von Geschossen mit abgereichertem Uran sorgt Großbritannien dafür, daß die Eskalation der einzig mögliche Weg ist.

Letzte Woche reiste der ukrainische Präsident Volodymyr Zelensky im Rahmen einer Tour durch die europäischen Hauptstädte unerwartet nach Großbritannien, um stärkere Waffen mit größerer Reichweite für seinen Krieg gegen Russland zu beschaffen.

Großbritannien hat wieder einmal gezeigt, welche herausragende Rolle es in der Ukraine spielt.

Im vergangenen Jahr, kurz nach Kriegsbeginn, eilte der damalige Premierminister Boris Johnson – wohl auf Anweisung Washingtons – nach Kiew, um Selenskij zum Abbruch der Friedensgespräche mit Moskau zu überreden.

Ungefähr zur gleichen Zeit machte die Biden-Regierung deutlich, daß sie eine Eskalation der Kämpfe befürwortete, um Rußland, das ebenso wie China ein geostrategischer Rivale ist, zu „schwächen“.

Seitdem stand Großbritannien an der Spitze der europäischen Bemühungen, den Konflikt zu verschärfen, und drängte auf die Lieferung von Waffen, militärischem Training und Geheimdienstinformationen an die ukrainischen Streitkräfte.

Es werden britische Panzer und Tausende von Panzergranaten – von denen einige aus abgereichertem Uran hergestellt werden – verschickt. In der vergangenen Woche schickte das Vereinigte Königreich außerdem Hunderte von Langstrecken-Angriffsdrohnen.

Eine unbekannte Anzahl von ›Storm Shadow‹-Marschflugkörpern im Wert von 2 Millionen Pfund Sterling und mit einer Reichweite von fast 300 km begann zu treffen. Letzte Woche erklärte der britische Verteidigungsminister Ben Wallace, daß die Raketen bereits eingesetzt würden, und fügte hinzu, daß Kiew allein über die Ziele entscheide.

Mit den ›Storm Shadow‹-Raketen kann die ukrainische Armee tief in die von Rußland annektierten Gebiete der Ukraine und sogar in russische Städte einschlagen.

Vor kurzem sickerte durch, daß das Pentagon aus abgehörten E-Mails erfahren hatte, daß Zelensky Raketen mit größerer Reichweite haben wollte, damit seine Streitkräfte „in der Lage sind, russische Truppen in Rußland zu erreichen“.

 

Rein formale Erklärungen

Die Erklärungen Großbritanniens, der Westen helfe der Ukraine lediglich dabei, sich gegen die russische Aggression zu verteidigen, täuschen niemanden mehr. Die Lieferung von immer offensiveren Waffen hat die Ukraine in ein Stellvertreter-Schlachtfeld verwandelt, mit dem der ›Kalte Krieg‹ wiederbelebt werden kann.

Während Zelenskys Besuch in Großbritannien letzte Woche fungierte Johnsons Nachfolger Rishi Sunak als Waffenvermittler für die Ukraine, indem er sich mit den Niederlanden in einer, wie sie es pompös nannten, „internationalen Koalition“ paarte, um Druck auf die Biden-Administration und andere europäische Staaten auszuüben, damit diese Kiew mit F-16-Kampfflugzeugen versorgen.

Washington brauchte nicht viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Drei Tage später gab Biden auf einem G7-Gipfel in Japan den Verbündeten der USA grünes Licht, der Ukraine nicht nur in den USA hergestellte F-16, sondern auch ähnliche Kampfflugzeuge der vierten Generation zu liefern, darunter den Eurofighter ›Typhoon‹ aus Großbritannien und die ›Mirage 2000‹ aus Frankreich.

Regierungsbeamte überraschten die europäischen Staats- und Regierungschefs mit der Aussage, daß die USA direkt an der Ausbildung von Piloten außerhalb der Ukraine beteiligt sein würden.

Nach einem „überraschenden“ Besuch Zelenskys beim Gipfeltreffen am vergangenen Wochenende erklärte Biden, er habe die Zusicherung erhalten, daßdie Düsenflugzeuge kein russisches Territorium angreifen würden.

Britische Beamte erklärten ihrerseits, daß das Vereinigte Königreich in den kommenden Wochen mit der Ausbildung ukrainischer Piloten beginnen werde.

 

Ein Platz in der NATO

Das Büro des Premierministers machte deutlich, daß es Sunaks Ziel sei, „eine neue ukrainische Luftwaffe mit F-16-Düsenflugzeugen nach nationalem Standard“ aufzubauen, und daß der Premierminister der Ansicht sei, daß „der legitime Platz der Ukraine in der NATO liegt“.

Diese Erklärungen scheinen einmal mehr darauf abzuzielen, jede Möglichkeit auf Frieden zu blockieren. Präsident Wladimir Putin hatte sich wiederholt gegen die verdeckte, aber zunehmende Beteiligung der NATO in der benachbarten Ukraine ausgesprochen, bevor Rußland vor 15 Monaten mit seiner militärischen Sonderoperation begann.

Es ist schwer vorstellbar, daß das Vereinigte Königreich seinen Kurs ändern wird. Wahrscheinlicher ist, daß die Biden-Regierung Großbritannien dazu benutzt, um die westliche Öffentlichkeit zu umschiffen, während die NATO immer tiefer in die militärischen Aktivitäten des russischen Nachbarn eintaucht.

Die allmähliche Umwandlung der Ukraine in einen vorgeschobenen NATO-Stützpunkt hat die russische Invasion ausgelöst.

Der Krieg in der Ukraine dient auch als Schaufenster für die britische Rüstungsindustrie. Nach den USA ist es der größte Lieferant von Rüstungsgütern an die Ukraine.

Diese Woche wurde bekannt, daß die britischen Waffenexporte einen Rekordwert von 8,5 Milliarden Pfund erreicht haben, mehr als doppelt so viel wie im Vorjahr. Das letzte Mal, daß Großbritannien so viele Waffen verkaufen konnte, war 2015, auf dem Höhepunkt des Krieges in Syrien.

 

Eine Gefahr für die Gesundheit

Uns wird gesagt, daß die Ukraine ohne die europäischen Waffengroßzügigkeiten nicht in der Lage wäre, ihre lang erwartete Gegenoffensive zu starten, um die von Rußland eingenommenen Gebiete im Osten und Süden der Ukraine zurückzuerobern.

In diesem Monat schloß Josep Borrell, der höchste Diplomat der Europäischen Union, in Florenz Friedensgespräche klar aus. Die Ukraine brauche massive Waffenlieferungen, ansonsten werde „die Ukraine in wenigen Tagen fallen“, sagte er.

Borrell deutet an, daß die Lage der Ukraine so schwierig sei, daß ihre Führung aus Verzweiflung versucht sein könnte, sich in immer riskantere Kampfeinsätze zu stürzen.

Und aufgrund der britischen Einmischung könnte dieser blutige Krieg, der unzählige Opfer unter der ukrainischen Bevölkerung und den russischen Soldaten, aber auch potenziell innerhalb der Grenzen Rußlands fordert, nicht nur Monate, sondern Jahrzehnte dauern.

Im März deckte das Magazin ›Declassified‹ auf, daß einige der Tausende von Panzergranaten, die Großbritannien an Kiew geliefert hatte, aus abgereichertem Uran hergestellt wurden, einem radioaktiven Schwermetall, das in Kernkraftwerken produziert wird.

Die oppositionelle ›Labour Party‹ von Keir Starmer erklärte, sie „unterstütze voll und ganz“ die Lieferung dieser panzerbrechenden Geschosse durch die britische Regierung an die Ukraine, trotz des damit verbundenen langfristigen Risikos einer radioaktiven Verseuchung.

Geschosse mit abgereichertem Uran zersplittern und verglühen, wenn sie auf ein Ziel treffen. Ein Analyst, Doug Weir von der Beobachtungsstelle für Konflikte und Umwelt, sagte gegenüber ›Declassified‹, daß diese Munition „chemisch giftige und radioaktive [mikroskopisch kleine] Partikel von abgereichertem Uran, die von Menschen eingeatmet werden können“ produziere.

Dennoch behaupten die britischen Minister, daß die Bedrohung für die menschliche Gesundheit gering sei und sich das Risiko lohne, da es der Ukraine erlaube, die russischen Panzer zu zerstören.

 

Todesfälle durch Krebs

Wie ›Declassified‹ betonte, widerspricht jedoch eine wachsende Zahl von Beweisen für den Einsatz dieser Geschosse durch die USA im ehemaligen Jugoslawien in den 1990er Jahren und durch Großbritannien und die USA im Irak zehn Jahre später diesen Behauptungen.

Italienische Gerichte haben Schadensersatzklagen gegen die Armee des Landes in über 300 Fällen stattgegeben, in denen Italiener, die als Polizeibeamte oder Soldaten in Bosnien und im Kosovo gedient hatten, an Krebs gestorben waren, nachdem sie abgereichertem Uran ausgesetzt waren.

Mehrere Tausend weitere ehemalige italienische Militärangehörige sollen an Krebs erkrankt sein.

Im Jahr 2001 spielte die Regierung von Tony Blair die Rolle von abgereichertem Uran bei den Todesfällen in Italien herunter, um die neue Regierung von George W. Bush nicht zu verärgern. Beide Politiker billigten daraufhin den Einsatz von DU-Munition im Irak, obwohl Großbritannien später zugab, daß es die „moralische Verpflichtung“ habe, bei der Beseitigung eines Teils der Kontamination zu helfen.

Der Westen interessierte sich kaum für die Auswirkungen, die durch Waffen mit abgereichertem Uran im Irak verursacht wurden, obwohl die lokale Zivilbevölkerung der Kontamination am stärksten ausgesetzt war. Geschosse mit abgereichertem Uran wurden während des Golfkriegs 1991 und über ein Jahrzehnt später während der Besetzung des Irak durch die USA und das Vereinigte Königreich in großem Umfang eingesetzt.

Statistiken der irakischen Regierung zufolge stiegen die Krebsraten zwischen dem Zeitraum unmittelbar vor dem Golfkrieg und 2005 um das 40-fache an.

In der Stadt Falludscha, die die USA nach der Invasion 2003 verwüsteten, gäbe es „die höchste Rate an genetischen Schäden unter allen jemals untersuchten Populationen“. Die Zahl der Geburtsfehler wäre etwa 14-mal höher als in den Gebieten Hiroshima und Nagasaki in Japan, wo die USA Atombomben abgeworfen hatten.

2018 stufte die britische Regierung einen 1981 vom ›Atomic Weapons Research Establishment‹ des Verteidigungsministeriums verfaßten Bericht über die Gefahren von Waffen mit abgereichertem Uran neu ein, den sie drei Jahre zuvor veröffentlicht hatte.

In der Zwischenzeit wagte es James Heappey, der Minister für die Streitkräfte, die Behauptung, daß internationale Organisationen wie die Weltgesundheitsorganisation und die Vereinten Nationen keine langfristigen Gesundheits- oder Umweltrisiken durch Waffen mit abgereichertem Uran gefunden hätten.

Doch wie Doug Weir im März gegenüber ›Declassified‹ erklärte: „Keine der vom Verteidigungsministerium zitierten Stellen hat langfristige Umwelt- oder Gesundheitsstudien in Konfliktgebieten durchgeführt, in denen Waffen mit abgereichertem Uran eingesetzt wurden.“

Mit anderen Worten: Sie wissen es einfach nicht – und versuchen es vielleicht auch gar nicht zu wissen.

Weir fügte hinzu, daß die WHO, die Vereinten Nationen und die Internationale Atomenergiebehörde alle gefordert hätten, daß kontaminierte Gebiete deutlich gekennzeichnet und der Zugang zu ihnen eingeschränkt werden sollten, und gleichzeitig empfohlen hätten, Kampagnen zur Sensibilisierung der umliegenden Gemeinden für die Risiken zu organisieren.

Die britischen Beamten warben auch die ›Royal Society‹ an, um zu behaupten, daß abgereichertes Uran sicher sei, wie es die USA vor der Invasion des Irak im Jahr 2003 getan hatten, indem sie zwei ihrer 2001 und 2002 veröffentlichten Berichte zitierten.

Die ›Royal Society‹ distanzierte sich jedoch von diesen Behauptungen. Ein Sprecher erklärte gegenüber ›Declassified‹, daß abgereichertes Uran trotz der Behauptungen der britischen Regierung kein „aktives Forschungsgebiet“ mehr sei.

Im Jahr 2003 widersprach die ›Royal Society‹ Washington und erklärte gegenüber dem ›Guardian‹, daß Soldaten und Zivilisten im Irak „kurz- und langfristig gefährdet sind. Kinder, die an kontaminierten Orten spielten, waren besonders gefährdet“.

Zur gleichen Zeit warnte der Vorsitzende der ›Arbeitsgruppe der Royal Society für abgereichertes Uran‹, Professor Brian Spratt, vor der Korrosion von Granaten, die zur Verseuchung von Wasservorräten mit abgereichertem Uran führen könnte. Er empfahl, die Wasservorräte regelmäßig zu testen.

 

Stimmen werden zum Schweigen gebracht

Indem Großbritannien auf offensivere Waffen drängte und Geschosse mit abgereichertem Uran in den Krieg einführte, erhöhte es den Einsatz auf zwei gefährliche Arten.

Erstens treibt es eine schicksalhafte Verkettung immer stärkerer Eskalationen voran, einschließlich einer nuklearen Eskalation.

Rußland besitzt ebenfalls Waffen mit abgereichertem Uran, wollte sie aber nicht einsetzen. Für Moskau fällt abgereichertes Uran in die Kategorie der Nuklearwaffen, es entspricht einer ›schmutzigen Bombe‹.

Als Reaktion auf die Entscheidung Großbritanniens, Panzergeschosse mit abgereichertem Uran zu liefern, beschloß Putin im März, ›taktische‹ Atomwaffen in das benachbarte Weißrußland zu transferieren. Sein Verteidigungsminister Sergej Schoigu erklärte, all dies bringe die Welt „immer näher“ an einen „nuklearen Zusammenstoß“ heran.

Zweitens provoziert Großbritannien auch eine Situation, in der eine katastrophale Entscheidung oder eine einfache Fehlkalkulation Rußlands oder der Ukraine immer wahrscheinlicher wird, wie die Ereignisse der letzten Woche gezeigt haben.

Rußland traf ein militärisches Munitionsdepot in der Westukraine und löste einen riesigen Feuerball aus. Es gab Gerüchte, daß in der Anlage britische Granaten mit abgereichertem Uran gelagert worden sein könnten.

Ob dies nun stimmt oder nicht, es erinnert uns daran, dass Moskau absichtlich oder versehentlich eine solche Lagerstätte treffen und so die Kontamination in einem urbanisierten Gebiet verbreiten könnte.

Da die Ukraine dank Großbritannien bald über ein komplettes Arsenal an Offensivwaffen verfügen wird – nicht nur Langstreckendrohnen, Marschflugkörper und Panzer, sondern auch Kampfflugzeuge – ist es nicht schwer, sich erschreckende Szenarien auszumalen, die Europa schnell an den Rand eines nuklearen Konflikts bringen könnten.

Moskau trifft ein Munitionslager mit abgereichertem Uran und setzt damit eine große Zivilbevölkerung einer toxischen Verseuchung aus. Die Ukraine antwortet mit Luftangriffen innerhalb Rußlands. Ein nuklearer Schlagabtausch in Europa schien noch nie so nah.

Diejenigen, die gesagt haben und sagen, daß es dringend notwendig sei, Friedensgespräche aufzunehmen, anstatt sich auf ein Wettrüsten in der Ukraine einzulassen, scheinen jeden Tag ein bißchen mehr Recht zu bekommen. Wie lange wird es den westlichen Politikern und Medien noch gelingen, diese Stimmen zu unterdrücken?

Quelle: https://www.terreetpeuple.com/guerre-culturelle-reflexion-20/81-decryptage/6260-ukraine-la-folie-belliciste-britannique-conduit-leurope-a-la-catastrophe.html