Vortrag von Jürgen Rieger aus dem Jahr 1988 (Audio 1h 04m)

 

 

Beschreibung

Vermutlich hat Christus gar nicht gelebt. Bereits Friedrich der Große hatte angezweifelt, ob es einen Jesus tatsächlich gäbe. Ebenso hatte Goethe die Auffassung vertreten, daß Jesus nicht existiert habe, und in einem Brief an Herder geschrieben: „Das Märchen von Christus ist Ursache, daß die Welt noch 10.000 Jahre stehen kann und niemand recht zu Verstande kommt …“. Albert Schweitzer hat in seinem Buch „Leben Jesu Forschung“ zugegeben, daß sich nicht beweisen lasse, ob Jesus gelebt habe.

Mit der kritischen Bibelforschung hat die Zahl der Personen, die die Geschichtlichkeit Jesu verneinen, im Anschluß an Prof. Arthur Drews („Die Christenmythe“, 1909, 1911) erheblich zugenommen; zu erwähnen wäre beispielsweise der in Bremen lebende Theologe Hermann Raschke. Neben kritischen Beobachtungen an den Evangelien knüpft diese Auffassung vor allem an die Tatsache an, daß Paulus, der älteste Zeuge, nach seinen eigenen Angaben (Galater 1) Jesus nicht gekannt hat, fast vollständig über sein Leben schweigt, er lediglich vom letzten Abendmahl berichtet. Legendenhaft ist die – im übrigen in sehr unterschiedlichen Stammbäumen (Matthäus l und Lukas 3) überlieferte – angebliche Abstammung aus dem Hause David. Wegen der Geburt Jesu soll König Herodes den Kindermord angeordnet haben – aber Herodes starb schon im Jahre 4 „vor Christi Geburt“, kein antiker Geschichtsforscher weiß von diesem angeblichen Kindermord, und wenn denn tatsächlich die „heiligen drei Könige“ in dem kleinen Nest Bethlehem Jesus angebetet hatten, müßte sich das dort herumgesprochen haben, so daß das fragliche Kind bekannt war. (Eine auffallende Planetenkonstellation – von Jupiter und Saturn – gab es in Palästina im übrigen nicht „zu Christi Geburt“, sondern 7 „v. Chr.“). Ebenso erfunden ist die Behauptung in der Weihnachtsgeschichte, daß die Nazarener Maria und Josef nach Bethlehem zogen, weil Augustus eine Volkszählung anberaumt hatte: Nur römische Grundbesitzer unterlagen der Zählung, die im übrigen 6 „n. Chr.“ war. Da nach jüdischen Prophezeiungen der Messias aus Bethlehem stammen sollte, erfand man Jesu Geburt dort.

Legendenhaft ist selbst der Name „Jesus“. Jesus = Jeschua = Jehoschua = Josua ist seine Herleitung, übersetzt „Jahve ist Rettung“. Diesen Namen trug bereits der Hohepriester Josua, der die Juden aus babylonischer Gefangenschaft nach Jerusalem zurückführte, und seitdem war dieser Name im Judentum zur Verheißung geworden: Josua war ein Name, der seinen Träger als Heiland und Erlöser kennzeichnete. Nur ein Mensch mit Namen Jesus konnte also zum Messias (griechisch Christos) für die Juden werden, und deshalb der angebliche Befehl des Engels an Joseph, das Kind so zu nennen. Über die Kindheit, Jugend und das frühe Erwachsenenalter von Jesus steht befremdlicherweise auch nichts bei Matthäus, Markus und Johannes; Lukas sagt nur, daß Jesus 3 Tage, als er 12 war, verschollen war, wo er Disputationen im Tempel geführt hätte – ersichtlich erfunden, um die Klugheit Jesu herauszustellen.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß die zeitgenössischen Historiker den Jesus der Bibel nicht erwähnen. Josephus Flavius, der kurz nach der angeblichen Kreuzigung Jesu geboren wurde, ist der bedeutendste. Er veröffentlichte um das Jahr 93 seine von der Weltschöpfung bis zu Nero führenden „Jüdischen Altertümer“, wo er alles festhielt, was nach seiner Meinung wissenswert war. Er erwähnt beispielsweise Johannes den Täufer, Herodes und Pilatus, und schildert gerade aus dieser Zeit noch die geringsten Einzelheiten des politischen und gesellschaftlichen Lebens; er weiß beispielsweise von über einem Dutzend Personen zu berichten, die Wunderheilungen vorgenommen haben und sich als Erlöser betrachteten. Nur von Jesus von Nazareth finden wir bei ihm nichts. Da bei ihm über diese Person – wenn sie existiert hätte – mit Sicherheit etwas gestanden hätte, haben die Christen im 3. Jahrhundert seinen Text gefälscht und das sogenannte „Testimonium Flavianum“ eingefügt, in dem Jesu Wunder bezeugt werden und sogar seine Auferstehung und die Erfüllung des Weissagungsbeweises angeführt werden.

Heute wird selbst von katholischen Gelehrten zugegeben, daß diese Stelle eine Fälschung ist. Ebensowenig wie Josephus erzählt der jüdische Geschichtsschreiber Justus von Tibereas von Jesus. Dies ist besonders bezeichnend, weil Justus nicht nur ein Zeitgenosse Jesu gewesen sein muß, sondern sogar ein Landsmann von ihm, da er in Tibereas, nicht weit von Kapernaum, wohnte. In seiner Chronik, die von Moses bis in die Jahre reicht, in denen das Johannes-Evangelium entstand, tritt kein Jesus auf. Auch der jüdische Gelehrte Philon von Alexandria, von dem wir rund fünfzig Schriften besitzen, der ein großer Kenner der Bibel und jüdischer Sekten war und den angeblichen Jesus um etwa zwanzig Jahre überlebte, weiß von ihm nichts. Dabei berichtet Philon nicht nur über die Essener, sondern erwähnt auch Pilatus. Die vor wenigen Jahrzehnten aufgefundenen Schriftrollen von Qumram, ein Archiv derEssener, um die zunächst von der Kirche sehr viel Wind gemacht wurde, sind in der Versenkung verschwunden und werden zur Veröffentlichung nicht freigegeben, weil aus ihnen hervorgeht, daß 7 Jahrzehnte vor „Christi Geburt“ bei den Essenern ein „Lehrer  der Gerechtigkeit“ lebte, der teilweise ähnliche Aussprüche, wie sie im Neuen Testament von Jesus überliefert werden, gemacht hat, und der auf Befehl des orthodoxen Rabbinats von Jerusalem gesteinigt wurde. Der römische Geschichtsschreiber Tacitus berichtet zwar im Zusammenhang mit Neros Christenverfolgungen, daß der Urheber des Namens Christen durch Pontius Pilatus hingerichtet worden sei; da die Hinrichtung von Juden nichts für die römische Geschichtsschreibung bemerkenswertes war, stützte er sich dabei sicherlich nicht auf römische Quellen, sondern was die Christen in Rom selbst behaupteten, so daß hieraus eine Jesus-Existenz nicht abgeleitet werden kann.

Daß Jesus eine recht späte Schöpfung vermutlich des Paulus – worauf ich noch eingehen werde – aus umlaufenden Legenden über verschiedene Personen ist, wird besonders aus der angeblichen Anbetung in der Krippe durch die drei Könige aus dem Morgenland (auch „Weise“ oder „Magier“ genannt) deutlich. Die antiken Schriftsteller berichten dergleichen für Palästina weder für die Zeit um „Christi Geburt“, noch früher oder später. Diese Legende hat aber – worauf Historiker hingewiesen haben – ihr geschichtliches Vorbild. Eine glänzende Gesandtschaft der Parther zog im Jahre 66 „n. Chr.“ durch die Länder des Ostens nach Rom, um Nero zu huldigen; in seiner Ansprache sagte der Führer der Gesandtschaft zum Kaiser: „Ich bin zu dir gekommen, um dir zu huldigen als meinem Gott, wie dem Mithras“. Der dabei befindliche parthische König Tiridates wird ein Magier genannt, und es wird von den Magiern seines Gefolges gesprochen; der ganze Vorgang muß auf den in den sechziger Jahren in Rom lebenden Paulus einen großen Eindruck gemacht haben, und er übertrug die Geschichte auf den angeblichen Jesus. (Allerdings fragt sich, warum dessen eigene Angehörigen trotz der angeblichen Anbetung schon in der Krippe Jesus als „von Sinnen“ – also verrückt – empfanden, vergl. Markus 3, 20 f.)

Wenngleich Jesus also vermutlich nie gelebt hat, hat er Wirkung entfaltet. Seine angeblichen Sprüche sind in vielen Sprachen der Erde in einer Auflage von etlichen Millionen Exemplaren verbreitet. Sie sind Grundlage für Unterricht, für „Worte zum Sonntag“, für Predigten, Presseverlautbarungen und Stellungnahmen zu politischen Fragen. Für die Christen bricht zwar eine Welt zusammen bei Annahme der Vorstellung, daß es Jesus gar nicht gegeben hat, denn dann können sie von ihren Sünden ja nicht erlöst werden; für uns Nichtchristen ist diese Frage aber nicht bedeutsam, da die Bibelerzählungen und Sprüche unabhängig von der Existenz Jesu durch die Durchtränkung des ganzen öffentlichen Lebens mit christlichen Vorstellungen das Denken und Fühlen beeinflussen.

Wenn schon die Existenz Jesu zweifelhaft ist, gilt dies natürlich umso mehr für seine Lehre. Der Theologe Percy gibt zu: „Fraglich ist aber immer noch, was die Botschaft Jesu enthielt“. Es gibt zahlreiche Widersprüche in seinen biblischen Aussagen. Es ist aber völlig müßig, nun angeblich echte oder falsche Aussprüche des Jesu herausfiltern zu wollen. Nach eigenem Geschmack werden dann jeweils die Sprüche, die einem gefallen, als „echte Aussagen“ erklärt, diejenigen, die einem nicht gefallen, als „spätere Zusätze“ oder „falsche Überlieferungen“. Dies ist für Christen eine völlig unzulässige Betrachtungsweise. Ihnen gilt die Bibel als „Gottes Wort“, und dies macht es für sie unzulässig, etwas, was ihr Herr und Erlöser, den seine Jünger als Rabbi ansahen (Markus 11,21), an Aussprüchen getan haben soll, nun einfach wegzuwischen. Für die Christen ist die Bibel ja nicht irgendein Legendenbuch, wo man sich nach eigener Vorstellung Passendes und Glaubwürdiges heraussuchen kann, sondern die Grundlage ihres Glaubens. Wer einmal zugibt, daß Teile der Bibel nicht „Gottes Wort“ sind, müßte begründen, warum denn andere Stellen diesen Rang beanspruchen können. Da dies nicht möglich ist, gilt hier das „Alles oder Nichts“-Prinzip. Mit Rücksicht darauf müssen sich die Christen mit den Teilen der Bibel konfrontieren lassen, die in den Sonntagspredigten gewöhnlich nicht behandelt werden.

Weltfeindschaft gegen Diesseitsheiligung

Da sich die christlichen Auffassungen auf das Leben im „Jenseits“ richten, mußte daraus die Auffassung erwachsen, daß der, der zu sehr an dieser Welt hängt, hier zu sehr „gebunden“ ist, nicht oder nicht so leicht ins jenseitige Reich Gottes eingehen könne: Deshalb die Verteufelung des Leibes, der Lust, der Freude, ja des Lebens selbst, schließlich der ganzen Welt.

Im Mittelalter galt es vielfach als gottgefällig, sich nicht zu waschen, da dem Leibe dadurch zu viel des Guten angetan würde, und manche Heilige sind nur deswegen heilig gesprochen worden, weil sie vor Schmutz starrten. Die Geißler schlugen ihren Leib mit Peitschen, und die Angehörigen des katholischen Opus Dei tragen noch heute täglich einige Stunden am Körper einen „Bußgürtel“ mit scharfen Zacken, um den Leib zu quälen.

Die Naturwissenschaften haben demgegenüber die Leib-Seele-Einheit nachgewiesen, und es ist deswegen widernatürlich, einen Bestandteil des Menschen, nämlich seine Seele, gegenüber einem anderen Teil überzubewerten. Die Heiden hatten dazu eine natürliche richtigere Einstellung. Bei den Germanen war der Sonnabend Badetag. Die heidnischen Römer und Griechen legten sogar beheizte Thermen an. Die erste christliche Maßnahme nach Vertreibung der Mauren aus Spanien war die Schließung der öffentlichen Bäder. Durch die zunehmende Verschmutzung im christlichen Abendland breiteten sich die Seuchen im Mittelalter aus.

Als die Christen in Griechenland an die Macht kamen, schafften sie sofort die Olympischen Spiele ab; dort ging es um die Pflege des Leibes. Die Olympischen Spiele konnten erst mit Verfall des Christentums Ende des vorletzten Jahrhunderts wiederbegründet werden. Wer dem Leib keine Bedeutung zumißt, macht ihn krank; Nietzsche ist demgegenüber für die „große Gesundheit“ eingetreten. Die Gesunderhaltung des Leibes ist ein selbstverständlicher biologischer Wert und darf nicht vernachlässigt werden.

Die Lust ist so vielfach von Christen verteufelt worden, daß sich Nachweise hier erübrigen. Es sei nur auf das Dogma der „unbefleckten Empfängnis“ verwiesen, was unterstellt, daß jede andere Empfängnis außer derjenigen der Maria „befleckt“ sei; der Mensch sei eben „in Sünde gezeugt“, und auch im Protestantismus wird wegen der Jungfrauengeburt Marias Unverheirateten zuweilen eine erhöhte Achtung entgegengebracht. Die körperliche Liebe wird beim Kirchenlehrer Augustinus „scheußlich, höllisch, brennendes Geschwulst, entsetzliche Glut, Fäulnis, ekler Schlamm, ekler Eiter“ genannt, Kirchenlehrer Bonaventura nennt sie „stinkend“, Kirchenlehrer Thomas von Aquin vergleicht sie mit „Schmutz“, Kirchenlehrer Bernhard von Clairvaux erklärt, der Mensch sinke durch diese böse Lust noch unter die Schweine. Der Eunuche wird vom hl. Justin über Tertullian bis zum Kirchenlehrer Origines höhergeschätzt als der Ehemann.

Paulus erklärt demzufolge in seinen Briefen an die Korinther: „Es ist dem Menschen gut, daß er kein Weib berühre. Doch um der Unkeuschheit willen habe ein jeglicher seine eigene Frau, und eine jegliche habe ihren eigenen Mann“ (1. Korinther 7,1-2). Die Ehe also als Notbehelf gegen die Hurerei zugelassen! Dementsprechend heißt es weiter: „Den Ledigen und Witwen sage ich: Es ist ihnen gut, wenn sie auch bleiben wie ich.“ (1. Korinther 7,8). Und noch einmal bezüglich der Witwe wiederholt: „Seliger ist sie aber, wenn sie ledig bleibt, nach meiner Meinung.“ (1. Korinther 7,40). „Demnach, welcher seine Jungfrau verheiratet, der tut wohl; welcher sie aber nicht verheiratet, der tut besser.“ (1. Korinther 7,38). Der biologische Widersinn solcher Anweisungen, die direkt gegen das Leben gerichtet sind, das ja über Nachkommen Dauer will, liegt auf der Hand.

Auch Freude ist verpönt. Von ihr ist im Neuen Testament wenig zu spüren. Bezeichnend dazu die Worte Jesu: „Wehe euch, wenn ihr hier lachet, denn ihr werdet weinen und heulen“ (Lukas 6,25).

Er geht sogar noch weiter; verlangt wird der Haß auf das eigene Leben: „Wer sein Leben lieb hat, der wird es verlieren, und wer sein Leben auf dieser Welt hasset, der wird es erhalten zum ewigen Leben“ (Johannes 12,25). „Wer nicht hasset sein eigen Leben … kann mein Jünger nicht sein“ (Lukas 14,26).

Es wird geradezu eine Philosophie daraus gemacht, warum es einem auf der Welt nicht gut gehen darf: „Wäret ihr von der Welt, so hätte die Welt das Ihre lieb. Weil ihr aber nicht von der Welt seid, sondern ich euch aus der Welt erwählet habe, darum hasset euch die Welt“ (Johannes 15,19).,,… aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden“ (Johannes 16,33). An anderer Stelle sagt er über seine Jünger: „Denn sie sind nicht von der Welt, wie denn auch ich nicht von der Welt bin“ (Johannes 17,14). Und schließlich zusammenfassend: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“.

Gustav Wyneken merkt dazu an: „Eine persönliche Frömmigkeit, die nur um die Rettung der eigenen Person und deren Überführung in eine Region der Seligkeit ringt und bangt, hat etwas Engbrüstiges und gehört keinesfalls zu den Höhepunkten religiösen Erlebens und Schaffens. Dem heutigen Christen, und wohl auch dem katholischen, mag sie eine Selbstverständlichkeit sein – in der Geschichte und Phänomenologie der Religion ist sie spätgeborenes Erzeugnis eines Religionsverfalls.“

Unabhängig von dieser Wertung hat solche Religion aber auch fatale Konsequenzen. Nietzsche sagt dazu richtig: „Wenn man das Schwergewicht des Lebens nicht ins Leben, sondern ins ›Jenseits‹ verlegt ›ins Nichts‹ -, so hat man dem Leben überhaupt das Schwergewicht genommen. Die große Lüge von der Personal-Unsterblichkeit zerstört jede Vernunft, jede Natur im Instinkt – alles, was wohltätig, was lebenfördernd, was zukunftverbürgend in den Instinkten ist, erregt nunmehr Mißtrauen. So zu leben, daß es keinen Sinn mehr hat zu leben, das wird jetzt zum ›Sinn‹ des Lebens … Wozu Gemeinsinn, wozu Dankbarkeit noch für Herkunft und Vorfahren, wozu mitarbeiten, zutrauen, irgendein Gesamtwohl fördern und im Auge haben?“

Wir können heute ergänzen: Wozu Umweltschutz? Wozu Kampf gegen Baumsterben, für Artenschutz, gesundes Wasser, gesunde Luft? – das sind alles „weltliche Dinge“.