Gerhard Hess
uruz: Urstier/Auerochs
Phonetischer Wert : u
und stimmhaftes th
Tierkreis: Skorpion
November-Mitte
Sakralfest: Urstier-Opferandacht
In allen indogermanischen Religionskulten (und nicht nur dort) galt der Stier als Synonym für die himmels-väterliche Zeugungskraft. Nun, zum Winterbeginn, liegt sie sichtbar im Sterben, was man im rituellen Kultgeschehen in Form eines Stieropfers nachvollzog. Als Kultmahl verzehrt man Fleisch, Wein und Opferbrot (Kultgebäck in Hörnchenform = Martinshörnchen). Mit dieser Stiertod-Andacht beginnt die zweimonatige Julzeit, in deren Mitte die Mütternacht und an deren Ende das Hochjulfest des Frö steht.
Die -Rune ist die Rune des Opfertodes des heiligen Urstieres, einer Kulturgrenzen überschreitenden Gottesallegorie. Die Hörnerspitzen der runischen Stier-Hieroglyphe deuten nach unten, die große stiergleiche Antriebskraft der Natur ist zur Novembermitte ersichtlich gestorben.
In ihrer Quersumme zeigt die Runenzahl ihren wahren Kern, die Fünf, sie galt auch als Opferzahl. Da sich obendrein ihr Kalenderort in der Gipfelzeit des unheilschwangeren Sternen-Skorpions befindet, dürfen wir sicher sein, daß das Ideenbild des Tauroboliums („Weltenstieropfers“) zugrunde liegt, wie es sich als Stieropferszene auf der Abschluß- und Bodenplatte des Kultkessels von Gundestrup/Dänemark dargestellt findet.
Schon die steinzeitlichen Bauern in Deutschland und anderswo, fünftausend Jahre vor unserer Zeit, gaben in die Gräber ihrer Toten geopferte Rinder, denen man Knochenmedaillons mit Sonnensymbolen um den Hals hängte (Kugelamphorenkultur-Gräber in Sachsen-Anhalt).
Platon schrieb in seiner Nacherzählung des Berichtes über die hyperboreischen Atlanter vom großen Stieropferritus an der Weltsäule.
Im Bundahishn („Buch der Schöpfung“) der stammverwandten arischen Altperser ist von zwei Stieropfern die Rede: Eines steht am Weltbeginn, um die Schöpfung hervorzurufen, das andere wird zum Weltende vollzogen.
Da im Kreislaufdenken der alten Weisen jedem Ende ein neuer Anfang folgt, fallen beide Opfer letztlich in eins zusammen.
Auf etlichen spätantiken Altarplatten der Mithrastempel ist die Stieropferszene als jene Heilstat abgebildet, die am Anfang der Zeiten stand, die auch jährlich im Ritus nachvollzogen wurde, um damit den ewigen Kreislauf von Leben und Tod zu beschwören.
Unsere germanischen Vorfahren feierten das Weltanfangsopfer jährlich gemeinsam im Fesselhain der Semnonen im Raum von Berlin (Tacitus, Germ. 39): „Zu festgesetzter Zeit kommen Gesandtschaften aller Völker gleicher Abstammung in einem Wald zusammen, der durch feierliche Zeremonien der Väter und altehrwürdige Scheu geheiligt ist…“
Aus dem Althochdeutschen kennen wir den Begriff Wizzodopfer, das „Erlösung bringende Opfer“, das „urgesetzmäßige Opfer“. Dieses kosmogonische Opfer kann sich, dem alten Denken und den Quellen zufolge, auf Gott, Mensch oder Tier beziehen, aber es muß am Jahresende liegen, denn mit der Wintersonnwende beginnt die verjüngte Welt-Zeit.
So steht die Rune für jeden lebenserhaltenden Opfergang, sie raunt die Schlüsselworte des Sternenskorpions „Stirb und Werde“, und sie appelliert an die Einsicht zur Opfernotwendigkeit sowie die daraus resultierende Opferbereitschaft.
Der Stier ist Sinnbild der Zeugungsfülle,
urgöttlich, gigantischster Werde-Wille.
Um die Zeiten und Zonen zu errichten,
musste Gott zum Ersten sein Selbst vernichten.
Den eigenen Seins-Kreis wollt‘ er verlassen,
um sich in Formen der Schöpfung zu fassen.
Jedes Wandeln, Wachsen und Neuerwerben
ist auch ein Zurücklassen, Opfern, Sterben.
Wenn Gott die Undinglichkeit überwand,
er seine Kräfte in‘s Stoffliche band,
musste dies vor der Weltenwerdung gescheh‘n,
sollt‘ aus seinem Opfer die Welt entsteh‘n.
Dies Ur-Werde-Opfer wurd‘ nachempfunden,
wie es Vernunft und die Quellen bekunden,
kurz vor dem kultischen Jahresbeginn,
als ein wieder vollzogener Schöpfungsgewinn.
Jeder Kultkreis feiert sein Schöpfungsfest,
jeweils wann er den Jahrlauf beginnen lässt.
Das Gottes-Uropfer war Teil dieser Feier,
denn der Schöpfergott ist der Jahres-Weiher.
Das natürliche Jahr, ohne künstlichen Zwang,
folgt dem Pflanzenwuchs wie dem Sonnengang.
Dann gehört das Gottes-Hochopfer-Motiv
vor die Winterwende in‘s herbstliche Tief.
„Sagt es niemand, nur den Weisen,
Weil die Menge gleich verhöhnet,
das Lebendge will ich preisen,
Das nach Flammentod sich sehnet.
……..
Und solang du das nicht hast,
Dieses: STIRB UND WERDE!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.“ –
(„Selige Sehnsucht“, Johann Wolfgang von Goethe)
An diese Zeilen musste ich kürzlich denken und jetzt schon wieder.
Sieg dem Licht !!
Erhaltet Ihr eigentlich unsere Mails gar nicht? Ich habe jetzt zwei geschrieben und Federico auch.
Liebe Dörthe, Deine Mail ist angekommen – herzlichen Dank! Wir antworten morgen ausführlich.