Karl Richter

Die Welt erlebt derzeit einen Polwechsel in der globalen Machtverteilung: Der Westen geht, etwas anderes kommt. Nach dem derzeitigen Stand der Dinge spielen Mächte wie Rußland, China und Indien eine entscheidende Rolle in diesem Prozeß, während Uncle Sam in Zukunft nicht mehr die erste Geige spielen wird. Dies ist eine Entwicklung, die in jeder Hinsicht zu unterstützen ist.

Wenn jemand wie der chinesische KP-Chef Xi Jinping, der eigentlich das Staatsoberhaupt seines Landes ist, sich klar äußert, sollte man ihm ebenso aufmerksam zuhören wie Putin. Beide sind keine Phrasendrescher und unterscheiden sich damit von den Luftpumpen in Brüssel, Berlin und Washington.

Die Situation könnte nun spannend werden. Die Wiedervereinigung Taiwans mit China gehe nur die Chinesen etwas an, sagte Xi auf dem Parteitag der KPCh am Sonntag. In diesem Zusammenhang forderte Peking kürzlich alle in der Ukraine lebenden Chinesen auf, das Land zu verlassen. Auch die Tatsache, daß westliche Propagandamedien wie die deutsche Bild-Zeitung kürzlich auf Xi in ähnlicher Weise wie auf Putin losgegangen sind, paßt in diese Logik. Es bedeutet, daß dieser Mann etwas richtig macht.

Die Ereignisse spielen sich auf mehreren Ebenen ab. Die politisch-militärische Ebene ist nur eine davon, die wirtschaftliche Ebene eine andere. Inzwischen – aber eigentlich schon seit einiger Zeit – ist nicht mehr zu übersehen, daß sich mit der BRICS-Gruppe (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) ein neuer großer Wirtschaftsblock bildet, der sich als “Gegen-G7” versteht. Die Hauptteilnehmer, insbesondere Rußland und China, haben die Zeit genutzt, um die Integration der Teilnehmerländer und anderer Partner auch auf technischer Ebene voranzutreiben; so ist die russische Alternative zum amerikanischen Abwicklungssystem SWIFT, das Zahlungssystem MIR, inzwischen etabliert und wird von einer wachsenden Zahl von Ländern genutzt. Gleichzeitig verzichten immer mehr Partner bei ihren Energiegeschäften (Öl, Gas) auf den Dollar, was ihn für einen immer größer werdenden Teil der Welt überflüssig macht. Wenn man dazu noch die sich verschärfenden Krisenschocks hinzurechnet, von denen die westlichen Volkswirtschaften – selbstverschuldet! – (Inflation, Energieknappheit usw.) betroffen sind, kommt das alles sehr ungelegen für die auf Dollar basierende Weltwirtschaft des Westens. Man kann sich zu recht fragen, ob die eklatante Eskalation, die der Westen in der Ukraine betreibt, nicht eine direkte Folge der vom Zusammenbruch bedrohten westlichen Finanzwirtschaft ist.


Wie dem auch sei, die Bildung des BRICS-Blocks wird Zeit brauchen; es handelt sich eher um eine Angelegenheit von Jahrzehnten als von Jahren. Nichtsdestotrotz sind die BRICS-Staaten auf dem Vormarsch und werden bereits als Konkurrenten wahrgenommen. Der Krieg in der Ukraine beschleunigt diese Entwicklung. Für den Westen scheint der Zug eher ins Stocken zu geraten.

Taiwan: China ist im allgemeinen ein diskreter Akteur, der außerordentlich vorsichtig agiert. Ich würde meine Hand nicht dafür ins Feuer legen, daß Peking das Thema Taiwan in naher Zukunft aufgreift – aber ich kann mich irren (und ich habe auch nicht mit dem russischen Militärschlag im Februar gerechnet).

Tatsächlich sind die chinesischen Vorbereitungen noch nicht abgeschlossen. Derzeit fehlen der chinesischen Volksmarine noch viele der benötigten Landungsschiffe und Truppentransporter, die voraussichtlich nicht vor 2027 zur Verfügung stehen werden. Ansonsten ist die chinesische Rüstung trotz erheblicher Fortschritte noch weit davon entfernt, die Konfrontation mit den USA von sich aus zu suchen.

Es ist jedoch möglich, daß Peking die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf die westlichen Streitkräfte unter die Lupe nimmt. Nicht nur die Armeen der EU “kannibalisieren” sich aufgrund der exzessiven Waffenlieferungen an die Ukraine in gefährlicher Weise. Bereits vor Monaten hatte der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Kujat, davor gewarnt, durch die Lieferungen die eigene Verteidigungsfähigkeit massiv zu gefährden. Selbst das deutsche Verteidigungsministerium hatte in den letzten Tagen mitgeteilt, daß der Bundeswehr im Ernstfall nur noch Munition für zwei Tage (!!) zur Verfügung stehen würde.

Aber auch in den USA werden die Warnungen vor leeren Munitionslagern und einer drastischen Reduzierung der Bestände an Flugabwehr- und Panzerabwehrwaffen (Stinger, Javelin) immer lauter. Es ist bekannt, daß fast 900.000 Schuß Munition für die 155-mm-Haubitze M777 geliefert wurden – das Pentagon muß nun Südkorea und Kanada anflehen, die Bestände wieder aufzufüllen.

Mit anderen Worten: Die Gelegenheit ist günstig. Der Westen, einschließlich der USA, ist voll in die Ukraine involviert und stößt bereits teilweise an seine Grenzen. Sollte man unter diesen Umständen warten, bis der Krieg in der Ukraine auf die eine oder andere Weise beendet ist und die NATO aufatmen kann? Zumal die Biden-Regierung dieser Tage verlauten ließ, daß sie Taiwan mit Milliarden von Dollar aufrüsten und zu einem riesigen Waffenarsenal nach ukrainischem Vorbild ausbauen will. Der Krieg in der Ukraine zeigt deutlich, wohin es führt, wenn es dazu kommt, und Peking wird seine Lehren daraus ziehen.

Hinzu kommt der Trumpf, daß China (und ab November auch Rußland) bereits Hyperschall-Langstreckenraketen – die mit Atomwaffen bestückt werden können – in seinem Arsenal hat, während die USA noch nicht über solche Raketen verfügen. Unter diesen Umständen ist es fraglich, ob Washington im Falle eines Konflikts die nukleare Karte ziehen würde.

Der konventionelle Preis für ein militärisches Engagement wäre bereits hoch – mit seinen DF-21- und DF-26-Raketen, die als “Flugzeugträger-Killer” gelten, sowie dem in den letzten Jahren errichteten vorgeschobenen Glacis im Südchinesischen Meer verfügt China inzwischen über gute Mittel, um die amerikanischen Flugzeugträgereinheiten auf Distanz zu halten. Man kann sich berechtigterweise fragen, ob Washington bereit ist, wegen Taiwan das Risiko einer nuklearen Konfrontation einzugehen.

Wir treten in eine interessante Phase der weltpolitischen Polverschiebung ein. Die Dinge beschleunigen sich jetzt. Alles deutet darauf hin, daß der Abgang des Westens – einschließlich der europäischen Satrapenregime – schneller erfolgen wird, als viele sich vorstellen können. Je früher, desto besser.

Quelle: http://euro-synergies.hautetfort.com/archive/2022/10/20/la-chine-et-la-fin-de-l-occident.html
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