Die Vereinigten Staaten haben seit Beginn ihrer Existenz praktisch immer Krieg geführt. Und der Krieg in der Ukraine bietet ihnen ein neues Spielfeld. Offiziell nimmt Washington nicht direkt an dem Konflikt teil. Aber US-Agenten sind vor Ort, Geld und Waffen fließen in Strömen, und die Regierung Biden hat ihren Willen bekundet, Rußland so stark wie nie zuvor zu schwächen. Aber woher kommt diese unbändige Lust am Krieg?

Die Antwort eines ehemaligen US-Obersts. (IGA)

Warum sind die USA bereits so stark in den Rußland-Ukraine-Krieg involviert? Und warum sind sie seit dem Einmarsch in Afghanistan im Jahr 2001 so regelmäßig auf die eine oder andere Weise in so viele andere Kriege auf unserem Planeten verwickelt?

Wer ein langes Gedächtnis hat, wird wie der radikalsozialistische Kritiker Randolph Bourne vor über 100 Jahren zu dem Schluß kommen, daß der Krieg für den Staat notwendig ist (“War is the health of the state”), oder er wird sich an die Warnungen der Gründer dieses Landes wie James Madison erinnern, der betonte, daß die Demokratie nicht im Dunkeln stirbt, sondern unter dem schrecklichen Licht der zu vielen Bomben, die über zu viele Jahre hinweg abgeworfen wurden.

Im Jahr 1985, als ich zum ersten Mal in den aktiven Dienst der US-Luftwaffe trat, wäre ein Konflikt zwischen der Sowjetunion und der Ukraine als Bürgerkrieg zwischen Sowjetrepubliken betrachtet worden. Im Rahmen des Kalten Krieges hätten die USA es nicht gewagt, direkt und vor aller Augen Kriegswaffen im Wert von mehreren Milliarden Dollar an die Ukraine zu schicken, um Rußland zu “schwächen”. Damals wäre eine solche Einmischung in einen Konflikt zwischen der Sowjetunion und der Ukraine ein kriegerischer Akt gewesen (zumal die Ukraine zu jener Zeit auch Atomwaffen besaß, was nichts Gutes verhieß).

Das änderte sich mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991. Der sowjetische Einflußbereich fiel allmählich in den Einflußbereich der USA und der NATO. Niemand kümmerte sich darum, was Rußland davon hielt, da sich das Land in einem rapiden Niedergang befand.

Bald mischten sich die USA sogar in die Angelegenheiten der ehemaligen Sowjetrepubliken vor den Toren Rußlands ein und verkauften ihnen Waffen, wobei sie Rußlands Warnungen vor der roten Linie, nämlich die NATO-Einladung an die Ukraine, ignorierten. Und jetzt haben wir einen schrecklichen Krieg am Hals, da die USA den Rest der Welt auffordern, ihnen bei der Aufrüstung der Ukraine zu folgen, einschließlich der Entsendung von Javelin- und Stinger-Raketen und Artilleriegeschützen, und Art zukünftigen – wenngleich sehr kostspieligen – Sieg der Ukrainer zu fördern.

Die Frage, die ich mir stelle, ist: Warum sind die USA, “der Führer der freien Welt”, wie wir sie während des Kalten Krieges nannten, in diesem Jahrhundert auch zum Führer der Unterstützung für den globalen Krieg geworden? Und warum gibt es nicht mehr Amerikaner, die sich von dem offensichtlichen Widerspruch, den dies darstellt, betroffen fühlen? Ich habe mindestens fünf – wenn auch unvollständige – Antworten auf diese Fragen:

In erster Linie und vor allem ist Krieg ein eminent profitables Geschäft, auch wenn viele Amerikaner nicht in diesem Sinne darüber denken. Als die Sowjetunion zusammenbrach, begrüßte der militärisch-industrielle Komplex die ungeheure Geschäftsmöglichkeit, die sich daraus ergab. Während des Kalten Krieges waren die USA und die Sowjetunion die beiden größten Waffenhändler der Welt. Mit dem Fall der Sowjetunion verschwand auch der Waffenlieferant, der ihr größter Konkurrent war.

Vergiss die “Friedensdividende”, die damals versprochen wurde, oder die großen Kürzungen im Haushalt des Pentagons. Die Zeit für die großen Waffenhersteller war gekommen, die bis dahin von der Sowjetunion beherrschten Märkte zu erobern.

Gleichzeitig entschied sich die NATO, es ihnen auf ihre Weise gleichzutun, indem sie sich über die Grenzen des wiedervereinigten Deutschlands hinaus ausdehnte. Trotz aller mündlichen Versprechungen gegenüber sowjetischen Führern wie Michail Gorbatschow dehnte sich die Organisation unter anderem auf Polen, Ungarn, Estland, Lettland, Litauen, Bulgarien und Rumänien aus, also bis an die Grenzen Rußlands selbst, und verschaffte den US-amerikanischen Unternehmern, die diese neuen NATO-Mitglieder mit Waffen belieferten, ein Vermögen.

Im Sinne des Managementgurus Stephen Covey konnte dies als eine Win-Win-Situation für die NATO, die USA und ihre Todeshändler angesehen werden. Für Rußland und insbesondere für die Ukraine, die heute mit ansehen muß, wie der Krieg weitergeht und sich die Zerstörungen häufen, hat sich dies jedoch zweifellos als eine Verlust-Situation herausgestellt.

Betrachten wir nun die Struktur und den Auftrag des US-Militärs unter dem Gesichtspunkt der Förderung des globalen Krieges. Wie könnte das Land zu etwas zurückkehren, das man vor langer Zeit “Isolationismus” nannte, wenn es über sage und schreibe 750 Militärstützpunkte verfügt, die über jeden Kontinent außer der Antarktis verstreut sind?

Wie könnte dieses Land den Krieg nicht fördern, wenn seine unglaublich gut ausgestattete Armee den Auftrag hat, in der Lage zu sein, ihre Macht global und in jedem möglichen Kampfkontext zu entfesseln, einschließlich Land, Meer, Himmel, Weltraum und Cyberspace? Was kann man von einer Armee erwarten, deren Budget den elf bestausgestatteten Armeen weltweit entspricht, oder wenn das Pentagon die ganze Welt in Kommandos aufteilt, die von Vier-Sterne-Generälen und Admirälen nach Art der römischen Prokonsuln kontrolliert werden?

Ist es da verwunderlich, daß die Führung in Washington unter solchen Umständen glaubt, das Interesse des Landes liege in der Existenz multipler Konflikte? Offensichtlich ist diese Haltung das Produkt einer solchen Struktur und einer solchen Vision von der Aufgabe des Militärs auf globaler Ebene.

Betrachten wir drittens die Macht des vorherrschenden Diskurses in Washington. Obwohl das Land ständig auf Kriegsfuß steht, sind die Amerikaner im allgemeinen davon überzeugt, daß sie eine Nation sind, die von edlen Gefühlen geleitet wird und sich nach Frieden sehnt.

Wie in einem Märchenfilm werden die USA immer als die guten Protagonisten dargestellt und die Feinde, wie der derzeitige russische Präsident Wladimir Putin, verkörpern die schlechten. Sich an diese Version der Realität zu halten und sie ständig zu wiederholen, sichert den beruflichen Erfolg des jeweiligen Autors, vor allem in den Mainstream-Medien. Wie Chris Hedges so treffend zusammenfaßte: “Die Presse verliert angesichts dieser militärischen Rhetorik jeden kritischen Geist. Und diejenigen, die die Kühnheit besitzen, diese Erzählung zu hinterfragen, werden deklassiert, geächtet, ins Exil gezwungen und in seltenen Fällen sogar inhaftiert. Um sich davon zu überzeugen, muß man nur an Whistleblower und Journalisten wie Chelsea Manning, Julian Assange oder Edward Snowden denken, die es gewagt haben, die amerikanische Version des Krieges in Frage zu stellen, und dafür teuer bezahlt haben.

Viertens ist der Krieg sowohl eine Möglichkeit, die Bevölkerung zu vereinen, als auch sie abzulenken. In diesem Jahrhundert hat der Krieg dazu beigetragen, die Amerikaner – wenn auch nur kurz – hinter dem Schlachtruf “Unterstützt unsere Truppen” zu vereinigen, die als “Helden” im Krieg gegen den “globalen Terror” gesehen wurden. Gleichzeitig erlaubt dieser Krieg, einen anderen zu vergessen, nämlich den Krieg zwischen den Armen sowie der Arbeiterklasse (und zunehmend auch einer schrumpfenden Mittelschicht) und den Reichen. Der Finanzier und Milliardär Warren Buffett formulierte es so: “Es gibt zwar einen Krieg der Klassen, aber es ist meine eigene, die der Reichen, die ihn führt und gerade dabei ist, ihn zu gewinnen.”

Fünftens haben die Kriege, sei es in Afghanistan, im Irak bis hin zu den endlosen Kriegen gegen den Terrorismus und auch der aktuelle Krieg in der Ukraine, den Blick von einer anderen Realität abgelenkt: dem nationalen Niedergang Amerikas seit Beginn dieses Jahrhunderts und seiner immer eklatanteren politischen Dysfunktionalität. Denken wir an Donald Trump, der nicht zufällig ins ›Weiße Haus‹ gelangt ist, sondern zumindest teilweise den andauernden katastrophalen Kriegen dorthin befördert wurde.

Die Amerikaner verbinden Krieg oft mit einer Demonstration von Männlichkeit (“in die Hosen eines großen Kerls schlüpfen” war der Ausdruck, den die Agenten der Regierung von Präsident George W. Bush ohne Ironie benutzten, um ihre Bereitschaft auszudrücken, Konflikte auf globaler Ebene auszulösen).

Dennoch haben viele von uns heute das Gefühl, Zeugen eines scheinbar unaufhaltsamen nationalen Niedergangs zu sein. Davon zeugen die steigende Zahl von Schießereien, die Todesfälle aufgrund einer schlecht gemanagten Covid-19-Pandemie, die Zunahme der Todesfälle durch Drogenüberdosierung und Selbstmorde, auch unter Armeeveteranen, sowie die psychischen Probleme unserer Jugend.

Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021

Das Versagen der Politik nährt und verschlimmert diesen Niedergang, wobei der ›Trumpismus‹ aus der reaktionären Sehnsucht nach einem Amerika schöpft, das einmal groß war und dessen Größe man wiederherstellen könnte – wenn die richtigen Leute an ihren Plätzen wären oder ansonsten in ihren Gräbern.

Spaltung und Ablenkung dienen dazu, viele von uns in einem Zustand der Niedergeschlagenheit und Demobilisierung zu halten und verzweifelt nach einem Anführer zu suchen, der uns entflammt und vereint, selbst wenn es um eine so oberflächliche und falsche Sache geht wie den “Stop the steal”-Kapitolaufstand am 6. Januar 2021.

Trotz aller Anzeichen für den Niedergang und die Fehlfunktion des Landes sind viele Amerikaner weiterhin stolz und fühlen sich durch die Vorstellung getröstet, daß das US-Militär nach wie vor das beste sei, das die Welt je gesehen hat – eine Ansicht, die unter anderem von den Präsidenten George W. Bush, Barack Obama und Joe Biden bekräftigt wurde…

Die ganze Welt als Spielplatz

Vor etwa 15 Jahren hatte ich eine offenherzige Diskussion mit einem konservativen Freund darüber, ob es für unser Land klug sei, seine Präsenz, insbesondere seine militärische Präsenz, in der Welt zu reduzieren.

Für ihn sind die USA ein wohlwollender Akteur auf der internationalen Bühne. Ich meinerseits halte die USA für übertrieben ehrgeizig. Nicht unbedingt böswillig, aber oftmals unklug und in Verleugnung ihrer eigenen Fehler. Die Erwiderung meines Freundes ist das “Argument des leeren Stuhls”. Im Grunde ist er der Ansicht, daß die Welt ein Spielfeld ist und daß, wenn unser Land zu zaghaft wird und sich zurückzieht, andere, viel gefährlichere Akteure die Bühne betreten. Meine Position ist, daß wir zumindest auf die eine oder andere Weise die Bühne verlassen und sehen sollten, ob die Welt unsere Anwesenheit tatsächlich vermißt. Ist Amerika nicht groß genug für uns? Und wenn man uns wirklich vermißt, wird es immer noch Zeit sein, zurückzukehren, vielleicht sogar auf triumphierende Weise.

US-Außenminister Antony Blinken mit dem Team der örtlichen Polizei in Brüssel am 25. März 2021 vor der Eröffnung des NATO-Treffens, bei dem er eine Ausweitung des Militärbündnisses in Asien fordern wird (State Department CC).

Natürlich denken die Beamten in Washington und im Pentagon gerne, daß sie eine unumgängliche Nation anführen, und sind in der Regel nicht bereit, andere Wege auszuprobieren. Im Gegenteil, sie wollen ewig weitermachen und alle möglichen Schauplätze beherrschen.

In Wirklichkeit haben es die USA nicht nötig, sich in jeden Krieg einzumischen, und würden es wahrscheinlich auch nicht tun, wenn nicht einige Akteure dort den Nährboden für saftige Profite fänden.

Wenn die fünf Gründe, die ich gerade genannt habe, ernsthaft diskutiert würden, wäre es eine Option, einen klügeren und friedlicheren Weg für das Land zu finden. Doch das wird er nicht sein, solange die Kräfte, die vom Status quo profitieren – in dem der Krieg nie vorbei ist, sondern einfach immer weitergeht, also von einem Status quo ante bellum weit entfernt ist –, so mächtig bleiben.

Die Frage ist natürlich, wie wir uns aus Kriegen zurückziehen und unseren militärischen Fußabdruck, insbesondere im Ausland, radikal reduzieren können, sodaß das Militär zu einer echten Kraft für die nationale Sicherheit wird.

Vor allem müssen die Amerikaner der Verführung des Krieges widerstehen, denn der endlose Krieg und die Vorbereitungen für noch mehr Kriege sind die Hauptursache für den nationalen Niedergang. Eines ist sicher: Aus Solidarität mit der Ukraine blaue und gelbe Flaggen zu schwenken und unsere Streitkräfte zu verstärken, mag unser Gewissen beruhigen, wird uns aber nicht zu besseren Menschen machen. Im Gegenteil, es wird lediglich dazu beitragen, immer schrecklichere Formen der Kriegsführung zu entwickeln.

Ein auffälliges Merkmal der russischen Militäroperation in der Ukraine ist, daß sie nach Jahren der Schwächung die Rückkehr der Kriegspartei unter dem Banner der “guten Jungs” ermöglicht hat. Nach zwei Jahrzehnten eines katastrophalen Krieges gegen den Terrorismus und absoluten Katastrophen in Afghanistan, Irak, Libyen, Somalia und an vielen anderen Orten stehen die Amerikaner nun auf der Seite der angegriffenen Ukrainer und gegen den “Kriegsverbrecher” und “Völkermörder” Wladimir Putin.

Eine solche Lesart der gegenwärtigen Situation ist natürlich unkritisch und verkürzt. Sie ist verführerisch, weil sie den amerikanischen Nationalismus ebenso wie den Narzissmus nährt und gleichzeitig die Mythologie der erlösenden Gewalt fördert. Das macht sie furchteinflößend.

Es ist höchste Zeit, daß wir dazu aufrufen, die plumpe, unpassende und endlose Version der Pentagon-Weltumrundung zu stoppen. Wenn uns die Situation doch nur auch dazu bringen würde, einen anderen Traum in Betracht zu ziehen, einen friedvolleren Traum, in dem wir vielleicht die Ersten unter Gleichen sind. Im heutigen Amerika ist das zweifellos zu viel verlangt.

Ein Freund aus der US-Luftwaffe hat mir einmal gesagt, daß man einen schlechten Krieg führt, wenn man einen langen Krieg führt. Wenn man den dunklen Weg zur globalen Vorherrschaft wählt, geht man leider auch den Weg des Krieges und unruhiger Zeiten, die von der grausamen Gefahr eines Rückschlags geprägt sind (ein Phänomen, vor dem uns der Historiker und Kritiker Chalmers Johnson in den Jahren vor 9/11 so vorausschauend gewarnt hat).

Washington glaubt sicherlich, in dieser ukrainischen Episode auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Dennoch sollte der permanente Krieg niemals mit Macht und schon gar nicht mit Tugend verwechselt werden, insbesondere auf einem Planeten, der von einem wachsenden Gefühl der drohenden Katastrophe heimgesucht wird.

Quelle: https://www.investigaction.net/fr/les-5-raisons-qui-expliquent-laddiction-de-washington-pour-la-guerre/
Originalquelle: https://tomdispatch.com/the-last-good-guys/

 

 

Print Friendly, PDF & Email