
Erwan Castel
Zwischen den ukro-atlantischen Propagandisten, die den Sieg beschwören, und den nicht minder dummen pro-russischen Propagandisten, die wegschauen, sobald ein russischer Panzer in der Steppe brennt, versuche ich in aller Bescheidenheit, über die Realität vor Ort zu berichten, ohne von meinem Engagement an der Seite der globalisierungskritischen Rebellen im Donbass und anderswo abzurücken.
Am 13. Mai erklärte ich in einem militärischen Lagebericht über die Charkow-Front, daß die russischen Streitkräfte ihre ukrainischen Gegner seit zwei Tagen bis an ihre Grenze herankommen ließen, um sie dann weit weg von ihrem defensiven Zufluchtsort Charkow in die Falle zu locken.
Erinnerung an die taktischen Zeiträume um Charkow:
- 24. Februar bis 20. April: Die erste russische Offensive in diesem Sektor scheiterte beim Versuch, Charkow einzukreisen und die Achsen südlich der Stadt zu kontrollieren,
- 21. April bis 10. Mai: Stabilisierung der Front 10-15 km nördlich und östlich von Charkow, die weiterhin von den russischen Streitkräften beschossen wurde.
- 11. Mai bis 18. Mai: Vorstoß der ukrainischen Streitkräfte nach Norden, der von den russischen Streitkräften bis zu deren Grenzen aufgehalten und kontrolliert wird.
- 19. Mai: Russischer Gegenangriff und Vernichtung der ukrainischen Sturmtruppen im Zuge einer Rückeroberung des Terrains in Richtung Charkow.
Dieser ukrainische Aufmarsch nördlich von Charkow, der unter so hysterischem ukro-atlantischem Jubel durchgeführt wurde, daß er sogar NATO-Generalsekretär Stoltenberg zu der Aussage veranlaßte, daß “die Ukraine den Krieg gewinnen kann”, wurde am 19. Mai gerade beendet, als die Kiewer Vorhut nur 7 km von Voltchansk entfernt war, einem Ort, der die logistische Versorgungsroute zur Kramatorsk- und Severodonetsk-Front kontrolliert, wo sich derzeit die Hauptanstrengungen des russischen Generalstabs konzentrieren.
Es hätte den ukrainischen Generalstab jedoch alarmieren müssen, zu sehen, wie leicht seine Einheiten vor den russischen Streitkräften vorrücken… Aber das passiert, wenn militärische Operationen in erster Linie propagandistischen Zielen dienen und dabei die Grundlagen der Strategie vergessen werden.
Die russischen Gegenangriffe haben den Salonanalysten das Genick gebrochen, die von einer totalen Niederlage der russischen Streitkräfte in der Ukraine schwärmten, und bereits Ternova und Roubijnoe (nicht zu verwechseln mit Roubijnoe in der Nähe von Severodonetsk), zwei Ortschaften an wichtigen Verkehrsachsen, wurden von den russischen Streitkräften in heftigen Kämpfen zurückerobert, wobei die ukrainischen Streitkräfte von ihnen überrascht und zerstört wurden.
Der ukrainische Generalstab, der keine Verstärkungen an die Front schicken kann, ohne die Verteidigung von Charkow noch weiter und gefährlich zu schwächen, hat daher keine andere Wahl, als sich so schnell wie möglich zurückzuziehen, bevor er alle seine Einheiten verliert, die unvorsichtigerweise aus ihrem städtischen Unterschlupf herausgeholt wurden.
Und so ist es in allen Kriegen mit hoher Intensität: eine Geschichte militärischer Ebbe und Flut, bis schließlich ein lebenswichtiger militärischer, politischer oder wirtschaftlicher Damm bricht…
Die Illusionen der Propagandisten erweisen sich manchmal als giftiger für die eigene Seite als für die des Feindes. Dies gilt sowohl für die russische Propaganda, die den militärischen Geheimdienst bis zur Unterschätzung der Kampfkraft der ukrainischen Streitkräfte vergiftet hat, als auch für die ukrainische Propaganda, die heute ihren Generalstab zu überzeugen versucht, daß sie die russische Armee dank westlicher Hilfe besiegen kann.
Glücklicherweise wenden sich die Machthaber in Moskau von propagandistischen Phantasien und fanatischen Ideologien ab und setzen stattdessen auf Pragmatismus, der auf Effizienz und ständige Anpassung abzielt, dank einer militärischen Operationsführung, die (anders als in Kiew und bei der NATO)…. von Militärs vor Ort und nicht von Karnevalspolitikern übernommen wird.