Jacques Myard

Der Krieg in der Ukraine entwickelt sich offensichtlich zu einer direkten Konfrontation zwischen Rußland und den Vereinigten Staaten. Es ist erwiesen, daß Washington die ukrainische Armee seit Jahren bewaffnet, ihre Soldaten ausgebildet und alle Informationen geliefert hat, die von der CIA und vor allem durch Abhörmaßnahmen der NSA gesammelt wurden. Die von den Amerikanern gelieferten Informationen waren entscheidend, um den russischen Vormarsch abzuwehren, dessen Armee sich aufgrund militärischer Konzepte aus einer anderen Zeit als nicht anpassungsfähig erwies.

Die Amerikaner haben nun erkannt, daß sich die Ukraine nicht mehr in einer Situation des Widerstands befindet; sie kann den Krieg nicht vollständig gewinnen, aber Rußsland militärisch auf Distanz halten und zurückdrängen kann!

Die Zerstörung des russischen Flaggschiffs Moskwa im Schwarzen Meer am 15. April, die durch die Lenkung von zwei Neptun-Raketen durch den US-Dienst erfolgte, war ein vielleicht symbolischer, aber sehr realer Schritt in der russisch-amerikanischen Kraftprobe!

Es war jedoch der 28. April, an dem Washington seine Absichten klar verkündete und seine Ziele festlegte. Präsident Biden forderte den Kongreß auf, eine Hilfe für die Ukraine in Höhe von 33 Milliarden US-Dollar, davon 20 Milliarden für Rüstungsgüter, zu beschließen.

Zuvor, am 26. April, leitete in Deutschland auf dem US-Stützpunkt Ramstein der eigentliche Chef der NATO, der US-Verteidigungsminister Lloyd Austin, eine Konferenz, an der Vertreter von 40 Staaten teilnehmen, darunter Frankreich, das seine Botschafterin nach Berlin entsandte.

Die Tatsache, daß diese Konferenz auf einem amerikanischen Stützpunkt stattfindet – die Symbolik ist sehr stark – läßt keinen Zweifel daran, daß Washington die Führung der Koalition übernehmen will, um Rußland, das sich eines Angriffskrieges schuldig gemacht hat, zu konterkarieren.

Lloyd Austin nimmt kein Blatt vor den Mund:

Wir wollen Rußland so weit bringen, daß es nicht mehr das tun kann, was es mit dem Einmarsch in die Ukraine bezweckt hat.

Infolgedessen beschleunigte sich die Lieferung schwerer Waffen mit Flugabwehrraketen und Howitzer-Haubitzen. Offensichtlich versuchen die Amerikaner nach ihrem Scheitern in Afghanistan und nach Saigon, ihre politische und militärische Glaubwürdigkeit wieder aufzubauen, die sie im Südchinesischen Meer dringend benötigen, um die Unabhängigkeit Taiwans zu sichern.

Rußland ist zwar der “Aggressor”, aber aufgrund des Engagements der Amerikaner in der Ukraine fühlt sich Moskau heute eindeutig als Gegner der USA. Daraus ergibt sich eine radikale Veränderung des Krieges und vor allem eine starke Ungewißheit über die geostrategischen Folgen für die beiden größten Atommächte der Welt.

Wir erinnern uns glücklicherweise daran, wie General Gallois sagte, daß “das Atom weise macht”. Ja, aber ein Ausrutscher kann nicht ausgeschlossen werden….

Wie sollte die Politik Frankreichs aussehen? Frankreich unterstützt die Ukraine in ihrem Widerstand gegen Putins Rußland, aber liegt es in seinem Interesse, stramm zu stehen und die Hacken zusammenzuschlagen, wenn die Amerikaner Befehle erteilen, deren Ziel zweifach ist: einerseits Rußland dauerhaft zu schwächen und andererseits die politische und militärische Kontrolle über alle europäischen Länder zu sichern?

Unter diesen Umständen muß Frankreich eine unabhängige Politik betreiben, die nur ein Ziel hat: einen Waffenstillstand zu erreichen, indem es eine politische Lösung anstrebt, um die Ukraine wieder aufzubauen und die Grundlagen für die Sicherheit in Europa zu schaffen. Europa, zu dem Rußland und die Ukraine gehören. Unter diesen Umständen führt die Entsendung der äußerst präzisen französischen 155er CAESAR-Kanonen an die Ukrainer nur dazu, daß der Krieg weitergeht – ein Krieg, den der Westen offenbar bis zum letzten ukrainischen Soldaten führen will…

Frankreich wird seine Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit nur dann wiedererlangen, wenn es eine völlig unabhängige Außenpolitik bekräftigt! Es besteht also die reale Gefahr eines Ausrutschers, einer Spirale, die die Abenteuerbüchse der Pandora  öffnet. Das wäre dann ein völliges Desaster für alle!

Clemenceau urteilte zu Recht, daß es

leichter ist, Krieg zu führen als Frieden zu schließen.

Und er fügte hinzu:

Ein mittelmäßiges Arrangement oder ein lahmer Frieden sind besser als ein Krieg.

Vergessen wir nicht die Weisheit des Aristoteles:

Der Zweck eines jeden Krieges ist der Frieden.

Quelle: https://www.bvoltaire.fr/tribune-guerre-dukraine-vers-un-affrontement-etats-unis-russie-risques-de-derapage-et-dengrenage/?utm_source=La+Gazette+de+Boulevard+Voltaire&utm_campaign=08bdbe6150-MAILCHIMP_NL&utm_medium=email&utm_term=0_71d6b02183-08bdbe6150-27395717&mc_cid=08bdbe6150&mc_eid=7a51b6d20b
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